Bob Tomson arbeitete als Schauspieler, als Unidozent und Autor für Bühne und Fernsehen. Viele seiner Produktionen, ob Verdis "Aida", Macbeth, die Kinderoper "James und der Riesenpfirsich" oder das Musical "Blood Brothers" waren in den letzten zwanzig Jahren auf Tourneen durch Großbritannien, Australien, Kanada und die Vereinigten Staaten zu sehen. Mit einer überarbeiteten, von Komponist Andrew Lloyd Webber und Autor Tim Rice autorisierten Fassung des Musicals "Evita" tourt Tomson in den nächsten Monaten durch Europa. Martin Morgenstern hat mit ihm in einer Probenpause gesprochen.
Bob Tomson, 1978 wurde "Evita" das erste Mal aufgeführt. Und dreißig Jahre später fasziniert der Stoff immer noch?
Eigentlich erstaunlich, nicht? Über die Jahre sind einige der Balladen eigenständige Klassiker geworden. Eine Menge europäischer und amerikanischer Künstler haben inzwischen populäre Coverversionen von "Don’t Cry for Me Argentina" gesungen. Die jungen Leute glauben gar nicht, dass diese Nummer aus "Evita" stammt!
Seit fast dreißig Jahren gibt es eine deutschsprachige Fassung davon. Der Kritiker der ZEIT schrieb zur Uraufführung in Wien, "Evita" sei "ein ekelerregendes Konsum- und Kommerzstück". Das Publikum ließ sich aber nicht davon abbringen, das Stück zu mögen.
Ja, besonders das deutsche Publikum spricht darauf sehr gut an. Es ist diese Story der kraftvollen, charismatischen Frau, die aus bescheidenen Verhältnissen stammt und zum erfolgreichen Radiostar wird. Es gibt eine Menge Biografien, an die sie uns erinnert: Jacqueline Kennedy Onassis, Stéphanie von Monaco. Prinzessin Diana, eben diese starken Frauen, die ganze Nationen bezauberten. Die waren übrigens sämtlich auch Stil-Ikonen. Und Eva Perón war die erste von ihnen.
In all den Jahren gab es nur zwei große englischsprachige Produktionen des Stoffes. Und nun sehen wir eine dritte von Ihnen, die offenbar einen anderen Zugang zu dem Stoff sucht?
Ich hatte dazu ein langes Treffen mit Andrew Lloyd Webber und habe ihm gesagt, dass man die Story aus meiner Sicht anders aufziehen müsste. Es ist ja ein sehr episches Musical mit gewaltigen Volksszenen: Perón wendet sich da an zwanzigtausend Menschen. Gleichzeitig hat der Stoff eine unglaubliche Intimität zwischen einem Mann und einer Frau, die mit Krankheit, mit dem Tod ringt. Ich sagte zu Andrew: "Ich glaube, das Publikum war bisher nicht wirklich ergriffen. Klar, sie waren beeindruckt, sie lieben die bekannten Songs. Aber sie kennen diese Frau nicht wirklich."
Und nun lernen Sie sie kennen?
Ich glaube schon. Die Zuschauer, die das Stück schon gesehen haben, fanden es überraschend, wie leidenschaftlich die Hauptdarstellerin agierte, wie lateinamerikanisch! Seien wir doch ehrlich: britische Schauspieler sind cool, reserviert. Wir haben nun aber junge Schauspieler gefunden, die die Körpersprache haben, und diese Schwüle, das Heißblütige, die Sexualität des Karnevals von Rio auf die Bühne bringen. Was glauben Sie übrigens, wird das Stück nach Dresden passen?
Nun, ich habe ein paar Fotos Ihrer Inszenierung im Internet gesehen. Die großen Säulen, die sehr klassische Ausstattung… Ein bisschen erinnerte es mich an die fünfundzwanzig Jahre alte "Parsifal"-Inszenierung, die in Dresden bis vor kurzem lief. Nun hat sich aber in Sachen Inszenierungspraxis in den letzten dreißig Jahren viel getan. Inwieweit hat die neue Produktion da auch neues zu bieten?
Wir sind da vor allem dem Kinofilm mit Madonna und Antonio Banderas verpflichtet. Das war eine große Herausforderung für uns: Wir mussten die Erzählgeschwindigkeit, die Wirksamkeit und Farbigkeit der Bilder an ihn anpassen. Das Publikum erwartete quasi auch "Naheinstellungen", close-ups. Als wir starteten, fragte ich Webber und Rice, ob wir da ein paar Änderungen machen könnten. Wir haben zum Beispiel den Song "You must love me", den Webber und Rice für den Film schrieben, in die neue Fassung eingebunden.
In Dresden fand letztes Jahr eine Tagung zur Zukunft des Genres Operette statt. "Die Operette ist tot", hieß es da, und: "Es lebe die Operette!" Wie sieht es eigentlich heute mit dem Genre des Musicals aus?
Musical ist immer noch der King. Er regiert über achtzig Prozent der Bühnen im West End und am Broadway. Durchkomponierte Musicals sind die modernen Opern! Oft sind die Inszenierungen aufregend und verschwenderisch. Das Publikum von heute, egal wie alt, hat die Nase voll vom Fernsehen. Es sind die Live-Events in jeder Form, die heute zählen, egal ob Oper, Tanz oder Schauspiel. Mehr und mehr Menschen wollen abends einfach auch mal schick ausgehen. Musical-Tickets sind ja nicht gerade preiswert. Wenn man sie trotzdem kauft, erwartet man zu recht eine Vorstellung, an die man sich lange erinnert, die das eigene Leben bereichert.
Als Regisseur widmen Sie sich vor allem Geschichten, die das Publikum sehr tief und direkt berühren. Warum?
Als Künstler bin ich nicht an fluffigen, leichtgewichtigen Musicalstoffen interessiert, und ich kann sie auch nicht gut umsetzen, um ehrlich zu sein. Momentan laufen fünf Musicals in Großbritannien, die ich gemeinsam mit dem Produzenten Bill Kenwright auf die Beine gestellt habe, der ja auch "Evita" ko-produziert. Sie sind sehr unterschiedlich, aber bei jedem einzelnen davon steht das Publikum am Ende auf, weil sie ergriffen sind. Ich mag es, Abende zu schaffen, an die man sich erinnert.
Ich weiß nicht, ob das Wort zutrifft – aber gibt es immer noch diese kulturelle "Apartheid" zwischen Musical und der "richtigen" Oper?
Ich denke, die gibt es immer weniger. Die Operncompagnien erweitern ihr Repertoire, ob es nun in Richtung "Porgy and Bess" oder Werke des Songwriter-Teams Rodgers/Hammerstein geht. Andrew Lloyd Webber und Tim Rice sind damals den wagemutigen Schritt weg vom Nummernstück zum durchgesungen Musical gegangen. Sie haben sich da offenbar an Konventionen der Oper angelehnt. Und nun wird das Ganze in die Rockmusik übersetzt. Die Grenzen zwischen Oper, Musical und Drama verwischen mehr und mehr.
Zeitgleich mit der Premiere in Dresden findet in Südafrika das WM-Halbfinale statt. Bob Tomson, räusper, was war denn diesmal mit den Briten los?
Ach je. Ich glaube, dass ist ein ganz eigenes Drama.
Foto: PR