Ein kleiner Nachtclub in Junín, Argentinien, 1934. Der alternde Sänger Agustín Magaldi tritt auf und wird von der fünfzehnjährigen Eva Duarte umgarnt. Die junge Frau möchte in die Hauptstadt mitgenommen werden, dort eine Karriere als Model starten. Die Familie ist hin- und hergerissen: soll sie Eva beschützen oder ihren Karriere-Traum unterstützen? Die Unsicherheit, die Wut entlädt sich auf Magaldi. Der weiß sich nicht zu helfen und nimmt Eva mit…
Genügend sozialen, erotischen, psychologischen Zündstoff für zeitgemäße Inszenierungen böte das Webber-Musical "Evita" eigentlich von Anfang bis Ende. Schade, dass es in der über dreißigjährigen Bühnengeschichte des Werkes kein Regisseur geschafft hat, den Konventionen des Genres, den finanziellen Produktionszwängen, die immer auf absolute Massentauglichkeit achten müssen, und wohl auch den rigiden Vorgaben von Webber / Rice zu entkommen. Bob Tomsons neue Regiearbeit reiht sich da nur demütig ein in eine lange Reihe von Gastspielproduktionen, denen noch die biederste "Zauberflöte"-Inszenierung kleiner Provinztheater den künstlerischen Rang abläuft.
Los Toldos. Hier wurde Eva Duarte 1919 geboren (Foto: Wikimedia Commons)
Große Geste, nichts dahinter: die neue "Evita" kommt nämlich so lebensfern und ironiefrei daher wie nur irgendwas. Dem Sänger Magaldi (Stephen Carlile) stellt der Regisseur beispielsweise einen Akkordeonisten, der nicht Akkordeon spielen kann, und einen Geiger, der pathetisch eine Geige ohne Steg streicht, zur Seite. Wäre es – bei Kartenpreisen von über hundert Euro und einem Tourneeplan, der allein in Dresden, der ersten von zwölf Tourneestationen, fast dreißigtausend verkaufte Karten erwarten lässt – denn tatsächlich so schrecklich umständlich gewesen, für diese Szene echte Musiker zu verpflichten, die die Musik, die unter David Steadmans Leitung aus dem Graben erklingt, auf der Bühne darbieten? Es wäre eines von vielen Bausteinchen gewesen, die der Stimmung zwischen den elektrisch leuchtenden antiken Säulen, neben Priestern, die Weihrauchfässer ohne Weihrauch schwenken, etwas Authentizität verleihen hätte können. Aber nein: das künstlerische Team schätzt die Auffassungsgabe seines Publikums offenbar als sehr gering ein. Lieber achtet man auf viel Nebel und eine überwältigende Lichtregie – das zieht!
Umso ärgerlicher ist diese Unterforderung, da Webbers Musik überraschend viel vom Hörer fordert. Abgesehen von dem Allzeitklassiker "Don’t cry for me Argentina" ist hier kaum eine Melodielinie besonders eingängig, viele Soli strotzen von atonalen Sequenzen, Tritoni, tonartfremden Ausflügen. Insgesamt ist die Partitur äußerst komplex bei einer pfiffigen Instrumentierung des kleinen Ensembles: neben wenigen Streichern, Percussion und Keyboardeffekten agieren da eine Gitarre, eine Trompete und eine Posaune. Fazit: Webbers frühe Musicals lohnen die Beschäftigung nicht nur für Genreapologeten. Aber wenigstens ein bisschen streitbarere Inszenierungen abseits der schieren Gastspielmaschinerie hätten die Werke schon verdient. In Dresden reichte es weder für Buhs noch für Bravos. Das Publikum applaudierte (nachdem einzelne Mitarbeiter des Promotion-Teams in den vorderen Reihen aufgesprungen waren, nach und nach auch stehend), dann ging man still nach Hause. Aus. Für kleine Streitgespräche einfach kein Anlass, kein Aufhänger. Schade.