Das Blaue Wunder musste (noch) nicht gesperrt werden, doch im Biergarten des SchillerGartens fand sich kaum ein freier Platz. Knapp 1000 Besucher erlebten am 9. Juli die Open Air Klassik-Nacht mit dem Philharmonischen Kammerorchester Dresden und Dirk Zöllner. Eine Premiere nicht nur für die klassischen Musiker, sondern auch für den Berliner Rockmusiker. Und der Versuch einer wiederzubelebenden Tradition an historischem Ort.
Open air im SchillerGarten: das Philharmonische Kammerorchester Dresden
2006 hatte das wenig sommerliche Wetter bei neun Grad über Null der schon damals geplanten Klassik-Nacht-Premiere im SchillerGarten einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ganz anders 2010. Hier, wo bereits Anfang der 50er Jahre die legendären „Feiereis-Konzerte“ für solche Besucherströme sorgten, dass teilweise das Blaue Wunder gesperrt werden musste, stimmten abendliche 32 Grad auf Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ ein.
Wie einst Max Feiereis, 1914 von König August III. zum Königlich Sächsischen Musikdirektor ernannt, mit dem „Dresdner Konzert-Orchester“ Wagner, Verdi, Beethoven und beliebte Operettenmelodien erklingen ließ, sollte erstmals wieder in dieser Form erzählende, zupackende und für alle leicht verständliche Musik verzaubern. „Wir wollen beweisen, dass man E- und U-Musik nicht trennen muss, sondern wir wollen gute Musik spielen“, umriss Wolfgang Hentrich, seit 1996 Erster Konzertmeister der Dresdner Philharmonie und Leiter der Klassik-Nacht das Anliegen des Abends. Der Solo-Violinist führte das Publikum anhand spannender Geschichten von Vivaldis Frühling bis Winter. Bildlich und musikalisch. Zwitschernde Vögel, murmelnde Quellen, ein Schäfer, der eine Ziegenherde bewacht, heißer Sommer, tobende Gewitter – auf jeden Fall herausfordernd. „Ein warmer, homogener Streicherklang und ein spontaner Musiziergestus“ werden dem seit über 40 Jahren bestehenden und damit traditionsreichsten Dresdner Philharmonischen Kammerorchester bescheinigt. Wolfgang Hentrich spannt den Bogen gekonnt bis zur nachvollziehbaren herbstlichen Erntefeier, Jagdfieber und „winterlicher Eiseskälte“. Kreuzorganist Holger Gehring brillierte am Cembalo als betrunkener Feiernder. Eindrucksvoll! Selten so emotional gehört.
Wolfgang Hentrich, Dirk Zöllner und Nora Koch an der Harfe (v.l.n.r.)
Debussys „Beim Mondenschein“ leitete Teil zwei der Klassik-Nacht ein. Bei „Der Schwan“, „Mein Hut, der hat drei Ecken“ und Improvisationen begeisterten die Solisten Nora Koch (Harfe), Jörg Wachsmuth (Tuba) und Ulf Prelle (Violoncello). Und dann kündigte Wolfgang Hentrich einen Mann an „mit einer Stimme wie ein Instrument“: Dirk Zöllner. „Ich weiß, dass viele Menschen heute Abend nicht wegen mir gekommen sind“, spielte er schmunzelnd auf den Berliner Rocksänger an. Tatsächlich kam in diesem Moment so etwas wie Bewegung in das bis dato eher ehrfürchtig lauschende Publikum. Mit einem Solo seines Liedes „Strohfeuer“ eröffnete Zöllner seinen Gastauftritt und sinnierte vor „Aus Liebe“ über gelebte sächsisch-preußische Freundschaft. Spätestens jetzt hatte er die nichtrockenden Klassikfans auf seiner Seite. Acht seiner Lieder, im Wesentlichen über die Liebe, hatten die Dresdner Dietrich Zöllner (Das Blaue Einhorn) und Michael Fuchs neu arrangiert. Begleitet von Violine, Harfe und Gitarre bekamen „Nie mehr“ oder „Alles oder nichts“ einen fast zu melancholischen Touch. Im Rockgewand mögen sie kraftvoller daherkommen. In dieser Nuance jedoch potenziert sich die Sensibilität der Texte. Und auch vermeintliche Harmonien einiger ursprünglich von ihm vorgeschlagener Lieder entpuppten sich im vorbereitenden Zwiegespräch mit Wolfgang Hentrich als Täuschung, verriet der Sänger. Er beschließt die lange Klassik-Nacht kurz vor Mitternacht mit der Zugabe seines Liedes „Gut aus“.
Lang anhaltender Beifall für Orchester und Gast. Fortsetzung sehr wahrscheinlich.
Fotos: Kathrin Neugebauer