Mr. Glass, "Ich habe einen Traum", wurden Sie vor vier Jahren in der ZEIT zitiert. Sie erzählten, wie die Musik zu Ihnen kommt: Sie wachen auf, horchen ein bisschen in sich hinein und schreiben auf, was da nachklingt. Ist komponieren wirklich so einfach?
Hm, wenn ich das jetzt so höre… Über die Jahre hat sich mein Komponieren sehr verändert. Als junger Mann studierte ich sehr intensiv andere Stile, andere Komponisten. Mit dem Älterwerden schenkte ich dem weniger Aufmerksamkeit. Heute vertraue ich mehr auf meinen eigenen, inneren Schaffensprozess, das stimmt schon.
Hört man einige Ihrer Stücke, scheint sich eine Art Zwischenwelt aufzutun. Manches klingt träumerisch, meditativ, endlos – nicht real.
Wenn wir über meine Musik reden, reden wir über eine Welt, die nicht diejenige ist, in der wir leben. Lassen wir es doch so stehen.
Interessant finde ich: schaut man eine Ihrer Partituren an, sieht sie sehr rigide aus. Die Tempi sind genau festgelegt. Strukturen wiederholen sich in unzähligen Varianten und Abwandlungen, man imaginiert einen sehr maschinellen Klang. Wenn Sie dagegen selbst spielen, klingt das Tempo recht beliebig, sie verlangsamen da, beschleunigen da… Man könnte dieses Herangehen fast romantisch nennen.
Viele Leute tendieren dazu, meine Musik sehr mechanisch zu interpretieren. Aber ich selbst bin ja auch ausführender Künstler, ich gebe so vierzig, fünfzig Konzerte pro Jahr. Nach einer Weile beginnt man, über die Rolle des Interpreten nachzudenken, die meiner Meinung nach sehr wichtig ist! Vielleicht sollte man bestimmte Dinge anders spielen, als sie der Komponist aufgeschrieben hat? Der Interpret kann der Musik bestimmte Aspekte hinzufügen, die nicht vorgesehen waren. Genau das mache ich.
Ich erinnere mich an eine Aufführung von "Mad Rush". Sie ließen große Teile des Werks einfach weg, spielten keine Wiederholungen… Nun stellen Sie sich mal vor, irgendjemand würde eine Beethoven-Sonate so behandeln. Undenkbar.
Ach, die Wahrheit ist doch: wir würden liebend gerne wissen, wie Chopin seine Musik spielte, aber wir wissen es nicht. Die Sprache der Musik ist perfekt, wenn sie frei fließen kann. Und wenn es für mich okay ist, mir bestimmte Freiheiten in der Phrasierung zu nehmen, sollte das auch für alle anderen gelten, die meine Musik spielen. Eigentlich interessant darüber nachzudenken, wie zukünftige Generationen die Werke interpretieren werden…
Quelle: www.filmnaechte-am-elbufer.de
Am 17. Juli wird Ihre Filmmusik für "Dracula" in Dresden zur Live-Aufführung kommen, open-air, auf den Elbwiesen. Können Sie sich an die Umstände erinnern, die damals zu diesem Projekt geführt haben?
Universal Studios wollte vor gut zehn Jahren eine DVD-Edition von "Dracula" herausbringen und kam auf mich zu. Der Originalfilm hat ja keine Musik. Sie dürfen nicht vergessen: die Rolle des Komponisten war 1931, als der Film gedreht wurde, noch nicht so festgelegt. Ich fand den Film auch irgendwie lückenhaft, unvollständig. Vielleicht hatte das damals finanzielle Gründe? Jedenfalls schienen mir einige Übergänge unbeholfen, das Timing war falsch. Also setzte ich mich daran, schrieb verschiedene musikalische Themen für die verschiedenen Charaktere. Es half, die Dinge zu verknüpfen.
Eines der wenigen Worte, die sich die Amerikaner von uns geborgt haben: "the leitmotif". Gehen Sie generell leitmotivisch heran, wenn Sie Filmmusik schreiben?
Jjja, naja, ich habe es manchmal getan, auch in meinen Opern. Insgesamt ist es ein Learning-by-doing. Wie bei einem Landschaftsmaler: er geht raus, stellt die Staffelei hin und beginnt zu arbeiten, und nach einer Weile wird er besser und besser. Auch im Filmgeschäft machen sich nur wenige Leute die beiden Grundsätze der Filmmusik klar: sie muss die Dinge strukturieren, und sie hilft, Emotionen zu erzeugen. Beides tut die "Dracula"-Musik.
Ihr langjähriger Haus-und-Hof-Dirigent Michael Riesman wird die Live-Aufführung leiten, das Kronos-Quartett spielt, und Sie sitzen am Klavier… Wie kam das Kronos Quartett ins Spiel?
Die Musiker hatten die Filmmusik von "Mishima" aufgenommen, ich hatte das entsprechende Streichquartett für sie komponiert, wir kannten uns gut. In London esse ich meist im selben Restaurant, dort trafen wir uns zufällig, als ich gerade über der "Dracula"-Musik saß. Ich habe sie eingeladen, mitzuspielen, und die Musik dann für sie angepasst.
Michael Riesman hat "Dracula" auch schon allein am Klavier begleitet. War das die Urfassung?
Nein. Michael mag es einfach, meine Ensemble-Stücke für Klavier einzurichten, wenn sie herauskommen. Ich hätte gar keine Zeit dazu, aber er macht es grandios. Seine Soloaufführungen von "Dracula" waren ein Erlebnis. Er ist ja ein Zweimetermann, und damals trug er einen Smoking, er sah aus wie Graf Dracula persönlich! Das ist seine Art Humor. Aber er ist eben auch ein fantastischer Pianist. Einmal spielten wir live zu "Dracula". Die Cellistin des Kronos Quartetts, Jennifer Culp, fühlte sich nicht wohl, und dann kippte sie auf der Bühne um und wurde hinausgetragen. Michael hat ihren Cellopart auf dem Klavier weitergespielt, während er dirigierte, einfach so.
In welchem Augenblick werden Sie eigentlich vom Produzenten oder Regisseur angefragt, wenn es darum geht, Musik für einen neuen Film zu schreiben?
Ob Martin Scorsese oder Woody Allen: Die meisten Regisseure, mit denen ich zu tun habe, rufen mich erst an, nachdem der Film fertig ist. Viele sind zu unsicher, was ihre eigene Arbeit angeht. Dann versuchen sie, alles zu kontrollieren. Das Problem ist: manchmal haben sie noch dazu keine Ahnung, was sie eigentlich wollen. Das ist dann ein komplizierter Verhandlungsprozess. Nicht so übrigens bei Allen: der bat mich um Musik für seinen Film "Cassandra’s Dream". Ich fragte ihn, wie er sich die Musik vorstellte, und er sagte: "Tu sie einfach dahin, wo es passt." Ich fragte ihn, ob er irgendwelche Vorschläge hätte. "Nonono", sagte er, "tu sie einfach rein." Und das machte ich. Diese Art der Zusammenarbeit war eine der angenehmsten zwischen Regisseur und Komponist, die man sich denken kann.
Da habe ich einen Vorschlag für Sie. Er betrifft die "Glass Machine" auf Ihrer Webseite. Momentan kann man sie mit verschiedenen Emotions- und Intensitätsreglern einstellen, so dass sie jeweils die passende Musik von Ihnen spielt. Könnten Sie sie nicht umprogrammieren lassen, so dass sie je nach eingestellten Parametern gleich selbst die entsprechende Filmmusik ausspuckt? Würde doch eine Menge Frust sparen.
Ha, guter Vorschlag. Aber ich muss Ihnen etwas gestehen. Ich habe diese Webseite noch nie angeschaut. Von dieser Maschine habe ich gehört, aber das machen andere Leute. Tut mir leid, aber ich käme ja sonst zu gar nichts mehr.