Der 1978 in Bremen geborene Musiker Nils Mönkemeyer nahm frühzeitig Geigenunterricht, wechselte aber bald zur Viola. Schon während seines Studiums in München startete er eine internationale Konzertkarriere. Nur drei Jahre nach seinem mit Auszeichnung bestandenen Examen erhielt er an der Dresdner Musikhochschule selbst eine Professur. Mit einigen seiner Studenten war der mehrfach preisgekrönte Künstler Ende Juli auf Schloss Weesenstein zu erleben. Als Artist in Residence beim Festival Mitte Europa gab er Kurse und ein Abschlusskonzert. Michael Ernst sprach mit dem Musiker über Termine, Themen und Träume. Ob das wohl ohne Bratscherwitze geht?
"Solange wir noch Träume haben, ist alles okay" (Fotos: Felix Bröde)
Herr Mönkemeyer, Sie sind Professor an der Musikhochschule und haben jetzt Semesterferien. Sie könnten die Sommerpause zum Urlaub nutzen oder, wie viele Ihrer Kollegen, als Solist bei Festivals tingeln. Statt dessen binden Sie sich als Artist in Residence einem einzigen Festival und beschäftigen sich obendrein weiter mit Ihren Studenten bei einem dreitägigen Workshop auf Weesenstein. Wie das?
Nils Mönkemeyer: Dahinter steckt vor allem ein kammermusikalischer Gedanke. In den Semestern steht ja das solistische Musizieren im Vordergrund, viele Studenten wissen gar nicht, wie schön Kammermusik sein kann! Aber hier können sie gemeinsam mit Profis auf der Bühne stehen und enorm viel lernen.
Ich finde ja überhaupt, dass das Lernen nie aufhört, schon gar nicht wegen so einem willkürlichen Termin wie der Semesterpause. Daher habe ich von meinen insgesamt 14 Studenten die Leute genommen, die so weit sind, dass sie auf der Bühne was bieten können. Das sind übrigens fast nur Studentinnen, was ganz bestimmt für ihren guten Geschmack spricht. Im Ernst, diese Bratscherinnen sind schon ziemlich gut und kommen mit einer enormen Konzentration.
Was haben die Studiosi von diesem Workshop, was sie in der normalen Hochschulausbildung nicht haben?
Diesen Moment, auf der Bühne zu stehen und mit absoluter Präsenz Erfahrungen zu sammeln, den kann kein Unterricht geben. Auch im Zusammenspiel mit erfahrenen Kollegen können sie hier nur an Sicherheit und Freiheit gewinnen. Denn zu Anfang ist man oft viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, was ganz normal ist. Da hilft es, wenn ein Profi den Weg vorgibt und die Souveränität ganz von allein wächst.
Und im Unterschied zum Studium, wo ja jeder seinem normalen Alltag nachgeht, ist die künstlerische Arbeit hier sehr dicht, absolut auf die Musik fokussiert, weil wir die ganze Zeit gemeinsam verbringen.
Und was durfte das Publikum in Weesenstein erwarten?
Zunächst mal konnten die Proben besucht werden und dann gab es im Abschlusskonzert ein bunt gemischtes Programm: Barocke Duos für zwei Bratschen, Liedbearbeitungen für Bratschen und Klavier, lauter kleine und eher kurze Charakterstücke, die viele Aspekte des Musizierens beinhalten.
Sie selbst sind zum dritten Mal Gast beim Festival Mitte Europa. Hat es sich in den Jahren gewandelt?
Nein, ich finde eher, dass hier die positiven Facetten noch ausgebaut worden sind. Das völkerverbindende Grundthema und die Nachwuchsförderung sind ganz wichtig. Als ich vor drei Jahren noch nicht so bekannt war wie jetzt, hat der Veranstalter Mut bewiesen und mich eingeladen. Das war eine Chance, die hier vielen jungen Leuten gegeben wird. Außerdem trägt das Festival Musik in Gegenden, wo sonst kaum noch derlei passiert.
Als Artist in Residence haben Sie in Wunsiedel und Plauen musiziert und waren nun in Weesenstein zu Gast. Diese Stationen treffen zwar das Anliegen von Mitte Europa, dessen Zentrierung unmittelbar nach Fall der Eisernen Vorhänge sinnvoll gewesen sein mag. Aber wie sehen Sie ein bayrisch-sächsisch-tschechisches Festival angesichts eines offenen Europas und einer globalisierten Welt denn heute? Fehlt da nicht wenigstens Polen?
Natürlich sind die Grenzen auf dem Papier offen. Aber grundsätzlich kann es nie genug Verbindungen zwischen den Nationen geben. Dass die tschechisch-deutsche Freundschaft heute so gut ist, liegt doch genau daran, dass man sich darum bemüht. Die universelle Sprache der Musik ist da besonders hilfreich, weil man sie überall versteht. Die Momente der Konzentration im Konzert sind extrem friedlich, ich denke, das ist genau der richtige Ansatz zu Völkerverständigung.
Wenn da Polen noch mit hinzukäme, wäre das nur zu begrüßen.
Sie stellten auf der Tour Ihre beiden jüngsten CDs vor. Warum haben Sie Anton Rößler respektive Antonio Rosetti ausgegraben?
Ich habe nicht direkt danach gesucht, wollte aber was haben, das vorher noch nicht aufgenommen war. Da habe ich vierzig, fünfzig Bratschenkonzerte ausprobiert – und das von Rößler gefiel mir am besten. Es ist ein enorm schönes Stück, dabei sehr mitreißend, und hat eine dankbare Solostimme. Diese Leichtigkeit und Lebensfreude, das muss man nur einmal gehört haben und schon kann man mitsingen.
Und welchen Reiz hat es für Sie, im Schumann-Jahr das Dreigestirn Johannes Brahms sowie Clara und Robert Schumann auf einer CD zu vereinen? Ist doch zumindest biografisch pikant!
Kann man so sagen. Die drei wären heute wahrscheinlich in allen Klatschspalten. Mich hat das gerade gereizt, angefangen mit dem Tagebuch einer Schülerin von Clara, in dem deren Eifersucht beschrieben wird, nachdem Robert die Interpretation seiner Musik durch diese Schülerin ganz besonders lobt. Clara steht auf der CD im Mittelpunkt, weil ich wissen wollte, ob diese Mischung zwischen extrem emanzipiert und extrem angepasst in ihrer Musik zu hören ist. Sie war ja nicht nur die aufopfernde Gattin, sondern auch Managerin ihrer Konzerte, Verlegerin ihrer Kompositionen, obendrein Klavierlehrerin, Mutter von sechs Kindern und Frau eines Psychopathen. Der hat dann Brahms als Freund der Familie eingeführt. Diese verrückte Nähe – da wollte ich wissen, ob es musikalische Übereinstimmungen gab.
Und, Ihre Antwort?
Ja, auf jeden Fall gibt es die. Ausgehend von Robert, der die romantische Sprache so in die Musik fließen ließ, dass er den Text wieder entfernt hat. Die durch ihn inspirierte Musik reicht völlig aus. Davon waren Clara und Brahms sehr beeinflusst.
Sagen Sie ein Wort zu Ihren eigenen Bearbeitungen?
Da ist es so ähnlich wie mit der Auswahl. Lieder, die ohne Worte erklingen, können freier sein, weniger durch den Text eingeengt, eine Melodie allein sagt manchmal viel mehr. Das ist jedenfalls meine Intention dabei gewesen, die ausgewählten Stücke zu befreien und zugänglich zu machen.
Wenn von Nils Mönkemeyer die Rede ist, dann geht es naturgemäß erst einmal um den Künstler, möglicherweise auch um die Frage, warum er von der Geige zur Bratsche wechselte, dann aber meist um sein sehr eloquentes Auftreten. Sehen Sie sich als Sunnyboy, der auf der Sonnenseite des Lebens steht?
Hm, da verlässt mich gleich meine Eloquenz. Ich hatte wahrscheinlich einfach viel Glück und bin in die sehr privilegierte Situation gekommen, genau den wunderbaren Job zu haben, den ich mir in all den Studienjahren erträumt habe. Was ich da empfinde, ist zuallererst Dankbarkeit. Mag sein, dass man da wie ein Sunnyboy wirkt, aber ich frage nicht, welches Image ich habe, sondern wer ich bin. Ich habe einfach keinen Grund, mich irgendwie zu beschweren. Das wäre undankbar. Und die Eloquenz hört spätestens im Moment des Musizierens auf. Denn dann stehe ich ganz im Dienst der Musik.
Träume und Pläne werden Sie aber dennoch haben?
Natürlich. Solange wir noch Träume haben, ist alles okay. Vor mir liegt jetzt erst mal eine spannende Saison mit vielen schönen Konzerten – eins auch bei der Dresdner Philharmonie im März 2011. Und es wird eine neue CD geben, diesmal ganz barock. Viel Melancholie, aber auch mit Techno.
Techno?! Gewiss im Sinne der These, dass Vivaldi der erste Rocker war?
Exakt. Das ist er zu hundert Prozent! Ohne Vivaldi gäb es auch nicht den Techno von heute. Aber ich mache natürlich kein Crossover, sondern meine damit sehr rhythmische und kraftvolle Musik. Tanzsätze von Michel-Richard de Lalande, die er für Ludwig XIV. schrieb.
Ich bin beruhigt und komme zum Unvermeidlichen: Können Sie die Frage, ob Sie Bratscherwitze noch hören können, noch hören?
Bratscherwitze sind völlig out. Wir sind da, glaub ich, längst weiter. Ich hab schon so viele Bratscherwitze erzählt, dass ich sie nicht mehr lustig finde. Was aber nicht heißt, dass ich nicht über mich lachen könnte.
Nils Mönkemeyer bei der Dresdner Philharmonie: 19. und 20. März 2011, unter der musikalischen Leitung von Josep Pons spielt er gemeinsam mit Christina Biwank das Konzert für zwei Violen und Orchester „Zwei Wege“ von Sofia Gubaidulina
CD-Tipp: „In dunklen Träumen“ Nils Mönkemeyer (Viola) / Nicholas Rimmer (Klavier), Sony Classical 88697633812