Dreieinhalb Stunden Musik mit zwei Pausen, na was ist das? Nein, falsch gedacht, es ist weder Lohengrin noch Götterdämmerung. Es war die "Lange Nacht der Kammermusik", die beim Moritzburg Festival am Donnerstagabend stattfand und somit fast nahtlos in die schlechterdings bewölkte Nacht der Sternschnuppen überleitete. Für derlei Wunderwerk am Himmel ist allerdings das Festival (noch) nicht zuständig, hingegen staunte man über mannigfaltige musikalische Wunder in den zahlreichen Kammermusikformationen.
Der Rahmen: die Moritzburg Festival Akademie, aus 38 jungen Studenten aus aller Welt bestehend. Man hatte in der ersten Woche bereits ein Orchesterprogramm einstudiert und aufgeführt – mit diesem Konzert wurde das Festival auch eröffnet. Nun widmete man sich unter Anleitung der in Moritzburg teilnehmenden, erfahrenen Profis der Kammermusik – auf einem Parforce-Ritt durch die Musikgeschichte durften sich die Zuhörer auf fast zwei Dutzend Stücke freuen und während die Abfolge solcher Bruchstücke im Klassikradio kaum ertragbar ist, war sie hier geeignet, ein Schlaglicht auf den Nachwuchs zu werfen. Fraglos sollte man sich einige der Musiker gut merken – man wird sie auf internationalen Bühnen wiederhören, so hoch ist der Standard der Akademie anzusetzen.
Intendant Jan Vogler betonte zu Beginn, dass alle Werke ausnahmslos während dieser einen Woche in Moritzburg einstudiert wurden. Da sich einige Musiker gleich in mehreren Formationen betätigten, dürfte auch der logistische Aufwand ordentlich gewesen sein. Zudem war es spannend zu hören, wie ein Mozart- oder Dvorak-Trio sich von jungen Musikern darstellt, die quasi aufeinander losgelassen werden, mit all ihren Talenten, ihren persönlichen kulturellen und musikalischen Hintergründen. Doch genau dort setzt Moritzburg an: der kammermusikalische Gedanke löst genau an der Nahtstelle zwischen individuellem Genius und dem Sinn für das Miteinander die "kleinen Wunder" aus und so wurde das Publikum auch nach drei Stunden noch nicht müde, den höchst engagierten Instrumentalisten tosenden Applaus zu servieren.
Das hatte auch einen weiteren Grund, denn der Freundeskreis des Kammermusikfestivals hatte erstmals einen Akademiepreis ausgelobt und die gestrenge Jury war niemand anders als das Publikum. Manch einer wird sich allerdings nach dem Konzert gedacht haben, es hätten alle 38 Musiker einen Preis verdient, denn auch die vermeintlich leichtesten Werke wurden ansprechend interpretiert. Daher sei hier auch allen für die Musik gedankt und keiner namentlich herausgehoben. Doch machte die packend emotionale Darstellung der "2 Stücke für Streichoktett" Opus 11 von Dmitri Schostakowitsch am Ende beim Publikumspreis das Rennen vor einer preziösen, sehr homogen dargebotenen Serenade des Dänen Emil Hartmann und einem furiosen Piazzolla-Stück.
Immer wieder war man erfreut zu beobachten, dass nicht nur inspiriert musiziert wurde, sondern viele der Ensembles einen gemeinsamen Atem fanden, Risiko nicht scheuten und vor allem Freude bei der Sache hatten. Ausreißer befanden sich bei so hoher Qualität nicht im Programm, stattdessen freute man sich über eine Ehrerbietung an Siegfried Kurz (ein Satz aus dem 1. Streichquartett) und viele Entdeckungen zwischen Biber, Rossini und Hindemith, mal signalhaft mit Trompeten von der Empore, mal ernst und melancholisch von der Bühnenrampe und oft auch heiter und ungezwungen – ein rundum gelungener Abend, der die vorangeschrittene Zeit schnell vergessen machte.
Foto: Wikipedia / Sean McClean
Eine Textfassung des Artikels ist am 14. August in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.