Während sich der in Zürich geborene und in New York lebende Komponist Daniel Schnyder gewandt und weltläufig als composer in residence des diesjährigen Moritzburg Kammermusik Festivals präsentieren lässt („ Schweizer Käse in New York“ von Michael Ernst, 13.08.2010), nimmt man am gleichen Tag im Berner Oberland die Uraufführung seiner Meditation „Die Himmelsleiter“ freundlich zur Kenntnis. Das Werk entstand im Auftrag des renommierten Menuhin Festivals Gstaad, das sich im 54. Jahrgang mit einer exzellenten Neuerung präsentiert. Seit dem 13. August 2010 gibt es ein neues Orchester, das Gstaad Festival Orchester soll künftig mit einem speziellen Konzert hier präsent sein und dann jeweils als Botschafter Ideen, Geist und Klang des von Sir Yehudi Menuhin begründeten Festivals auf einer anschließenden Tournee in die Welt tragen.
Fotos: Raphael Faux
Auf seiner ersten Tournee macht der neu gegründete Klangkörper auch in Dresden Station. Am 9. Oktober wird Schnyders klingende Himmelsleiter in der Frauenkirche zu erleben sein. Das Werk korrespondiert sowohl mit dem Motto des diesjährigen Festivals, „Zwischen Himmel und Erde“ als auch mit dem Anlass des Konzertes, eben der erste öffentliche Auftritt des Festival Orchesters und ist im Charakter eines festlichen Präludiums gehalten. Eine Abfolge gekonnt gesetzter Crescendi, vornehmlich bei vollem Einsatz des Orchesters, vermitteln die Vision eines Aufstieges in die Leichtigkeit lichtdurchfluteter Höhen.
Die Wiedergabe von so hoher Klangpräsenz am Abend der Uraufführung ist natürlich wesentlich den eminenten Tugenden des Orchesters geschuldet. Mit dem Fundament einer großen homogenen Streichergruppe des kammerochesterbasel vereinen sich erste Kräfte aus anderen Schweizer Orchestern mit Musikern, die aus Amsterdam, Berlin, Leipzig und Rom sowie von der International Menuhin Music Academy hinzu kommen.
Vengerov schwang Stab und Bogen an diesem Abend
Maxim Vengerov steht am Pult; er hat ein Programm gewählt, das man als Hommage an seine russische Heimat verstehen kann und als Anlass, möglichst viele Facetten des Orchesters zum Klingen zu bringen. Vengerovs Auswahl beginnt ausgesprochen feierlich mit der selten zu hörenden Ouvertüre „Große Russische Ostern“ von Nicolaj Rimski-Korsakov. Ein von Weihrauch geschwängertes Werk, üppiger instrumentiert, folkloristische und liturgische Motive vermischen sich in österlichem Freudenjubel. Für das Orchester eine gute Möglichkeit die Tugenden der Instrumentengruppen einzeln und im Zusammenspiel zu präsentieren. Weitaus differenziertere Möglichkeiten werden sich im Finale bieten, bei Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“, instrumentiert von Maurice Ravel. Mag sein, dass der Dirigent hier deshalb sehr bewusst und exakt die einzelnen Teile des Zyklus voneinander absetzt, solistische und kammermusikalischen Passagen in sehr helles Licht setzt und unnötiges Auftrumpfen beim begeisternden Zusammenklang des Orchesters vermeidet, was am Ende aber beste Eindrücke plastischen und farbreichen Musizierens hinterlässt.
Bei Tschaikowskis bekanntem Klavierkonzert Nr. 1 kann Vengerov mit den Musikern auch zur ganz großen, schwelgerischen Geste auffahren. Keine Gefahr der Sentimentalität, denn der wahrhaft satte und gediegene Streicherklang ermöglicht gefühlvolles, sinnliches Musizieren ohne die Grundierung unerlässlicher Sachlichkeit zu verlieren.
Glücksfall: Nikolaj Tokarev
Der Solist Nikolaj Tokarev, knapp eingesprungen für den angekündigten Fazil Say, erweist sich als Glücksfall. Er hat die tänzerische Eleganz des ersten Satzes in den Fingern, folgt der Verträumtheit der elegischen Passagen im zweiten und den fulminanten Gestus im virtuosen Finalsatz. Tokarevs jugendlichen Impetus ungestüm zu nennen wäre unangemessen, denn es gibt immer wieder Momente verträumten Innhaltens, vielleicht ist sein so virtuoses wie nachdenkliches Spiel der Widerklang einer modernen, romantischen Empfindung. Das Festival Orchester als „Begleitorchester“ besteht seine Feuerprobe auf Anhieb. Als Zugabe spielt Nikolai Tokarev jazzig und virtuos, augenzwinkernd und humorvoll in einer pfiffigen Improvisation Tschaikowskis kleinen Schwänen großartig zum Tanz auf.
Nach der Pause erklingt Daniel Schnyders Meditation. Am Ende dann, als Verneigung vor dem musikalischen Geist des Ortes und als würdevollen Abschluss, vertauscht Maxim Vengerov den Stab des Dirigenten mit dem Bogen, um mit der von ihm zu erwartenden instrumentalen Sanglichkeit Beethovens Romanze op. 50 mit dem soeben ins internationale Musikleben entlassenen Gstaad Festival Orchesters zu spielen.
Ja, ein guter Anfang, zwischen Himmel und Erde, an einem Ort in dessen Magie der Landschaft in über 1000 Metern Höhe, man dem Himmel, der an diesem Abend mit Sternen grüßt, ja ohnehin schon ein Stück näher ist.