Selbstbewussten Historikern zufolge soll in Dresden ja schon sehr viel erfunden worden sein – zum Leidwesen selbstverliebter Lokalmatadoren entpuppten sich die meisten dieser Sonderlinge dann aber doch eher als Historienerfinder. Nur orts- und wesensfremde Marketingmenschen fallen immer mal wieder auf die vorgeblich aus Dresden stammenden Büstenhalter oder Kaffeefilter herein – um diese Legenden dennoch so ahnungslos wie lauthals für ihre Zwecke auszuschlachten, versteht sich. Löschpapier und weibliches Formbewusstsein gab es aber schon wesentlich eher.
Nun kommt aber endlich einmal eine originär Dresdner Hervorbringung auf den Markt, wie sie nie je irgendwoanders zuvor kreiert worden ist. Vorhang auf für den ersten Schostakowitsch-Bagel der Welt! Vom 1. September an in der Louisenstraße inmitten der auch sonst gern durch eine gewisse Kreativität auffallenden Neustadt.
Schostakowitsch-Bagel?! Deutungen und Interpretationen um den von 1906 bis 1975 lebenden Komponisten gab und gibt es viele. Von jeher. Bis heute. Selbst seinen Werken wird mitunter ein Spektrum sowohl von Systemnähe als auch von Widerständigkeit attestiert. Wo tatsächlich die Wahrheit liegt – das steht in den Noten.
Best composer in town: Dmitri Schostakowitsch (Foto: Miss X / photocase.com)
Auch um die Geschichte des Bagels ranken sich mehr Gerüchte als nachprüfbare Fakten zur Herkunft des gebackenen Rundlings. Dabei ist er längst in aller Munde, der kreisförmige Teighaufen mit dem Loch mittendrin, der aber mal süß, mal würzig und mal auch ganz tränentreibend scharfscharf sein kann, mal vegetarisch, mal thunfischig und mal mit allerlei Putenrest belegt worden ist.
In Dresdens Louisenstraße gibt es seit 2001 ein Geschäft, das seine Produkte sehr selbstbewusst mit dem Slogan „Best Bagels in Town“ anzupreisen versteht. Nun, zu derart Superlativ gehört in der Sachsen-Hauptstadt bekanntlich nicht viel.
Ladenchef Thomas Böhme verpasste den gelöcherten Speisen mehr oder minder kunst- und kulturaffine Namen wie Florence Foster Jenkins, Luciano Pavarotti sowie Wilhelm Telli. Das klang mal witzig und war meistens mit nachvollziehbarem Ulk verbunden. Wieso aber nun Schostakowitsch?
Musik in Dresden berichtete bereits wiederholt von den anstehenden 1. Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch, jenem Festival, das vom 10. bis zum 12. September an den ersten Aufenthalt des sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch im Kurort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz erinnern sollte. Dafür ist in kürzester Zeit eine Menge an Vorleistung erbracht worden. Eine Strohscheune wurde zum zünftigen Konzertsaal herausgeputzt und darf nun Schostakowitsch-Scheune genannt werden. Der erste und bislang einzige Platz in ganz Deutschland schmückt sich seit diesem Sommer mit einer Büste des sowjetischen Komponisten und trägt nun ganz offiziell seinen Namen. Renommierte Musiker fanden sich rasch bereit, das Werk des allzuoft verkannten Genies endlich einmal an der einstigen Stätte ihres Entstehens aufzuführen. Obendrein wird eine Uraufführung erklingen, die der Schostakowitsch-Freund und -Kenner Krzysztof Meyer komponiert hat. Sein 13. Streichquartett wird zu Beginn der Schostakowitsch-Tage in Gohrisch erstmals erklingen. Und nicht zuletzt soll auch der eigentliche Anlass des ersten Besuchs von Dmitri Schostakowitsch in der Sächsischen Schweiz gezeigt werden, nämlich der in Koproduktion von Mosfilm und Defa entstandene Streifen „Fünf Tage – fünf Nächte“, in dem es um die Bergung der Dresdner Kunstschätze unmittelbar nach der Befreiung vom 8. Mai ’45 geht. Während der Dreharbeiten vor genau fünfzig Jahren sollte Schostakowitsch hier die Filmmusik dazu komponieren. Die recht rare Erfahrung einer Auszeit von Mütterchen Russland und den Nachwehen Väterchen Stalins mag ihn bewogen haben, statt eines Auftragswerks etwas ganz Privates zu schreiben – das 8. Streichquartett c-Moll op. 110. Sehr wahrscheinlich ist dies das einzige Werk, das der Komponist außerhalb der Sowjetunion schrieb, nachweislich ist es so biografisch geprägt wie sonst nur noch die 10. Sinfonie und das 1. Cellokonzert. In allen drei Musiken klingt als Leit- wie als Leidmotiv die Tonfolge D-Es-C-H durch, die verdeutschten Initialen des Künstlers. Nie sonst hat Dmitri Schostakowitsch so deutlich sein Ego in Töne gesetzt, das gleichermaßen stark wie labil gewesen sein muss. Längst sind diese Bekenntnisse zum Ich feste Bestandteile des musikalischen Welterbes geworden.
Während der 1. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch darf sich das Publikum auf höchst interessante Aufführungen und Begegnungen freuen. Karten für dieses neue Festival gibt es natürlich vor Ort und unter www.schostakowitsch-tage.de, aber auch in der Schinkelwache auf dem Theaterplatz vor der Semperoper sowie bei opus 61 in Dresdens Wallstraße 17. Nur in der Louisenstraße wird es ab 1. September besagten Schostakowitsch-Bagel geben – welcher Komponistenbesuch zieht schon ein halbes Jahrhundert danach noch eine lukullische Kreation nach sich?!