Wenn man den Chefdirigenten der Dresdner Philharmonie, Rafael Frühbeck de Burgos, die über diesem Artikel stehende Frage stellen würde, würde man in leuchtende Augen blicken. Die besondere Vorliebe und Hingabe des
Maestro für die Werke Johannes Brahms ist dem Dresdner Publikum bekannt. Sie bilden unter seiner Leitung eine Konstante in den Aufführungen der Philharmonie – dies schärft die Interpretationen und die Vertrautheit der Musiker mit dem Werk. Erfreut ist man also darüber, dass die Saisoneröffnung der Philharmoniker gleich vier Konzerte mit
Brahms‘ sämtlichen Konzerten und Sinfonien umfasst.
Vielleicht darf man hierin schon eine besondere Abschiedsgabe des Chefdirigenten sehen, denn es ist seine letzte Konzertsaison in Dresden. Damit nicht genug: vier Uraufführungen wurden in Auftrag geben, die Brahms nicht nur zur Seite gestellt werden, sondern sich explizit mit den Kompositionen auseinandersetzen. Im 1. Zykluskonzert war dies "Through the Looking Brahms" des Spaniers Tomás Marco (*1942) für Blechbläser und Pauken. Marco gelang eine spannende Miniatur, die episodisch und mit ganz eigener Tonsprache auf verschiedene rhythmische, harmonische und melodische Situationen in Brahms‘ 1. Sinfonie aufmerksam machte ohne in eine Stilkopie abzugleiten. Leider war man nicht mutig genug, das Stück als direkten Prolog der Sinfonie voranzustellen, dies hätte das enge Beziehungsgeflecht noch wirkungsvoller gemacht.
Julian Rachlin war dann der Solist im Violinkonzert D-Dur, auch dies ein immer wieder gern gehörtes Stück. Allerdings ließ der Solist eine klare interpretatorische Linie vermissen, was vor allem technische Gründe hatte: im 1. Satz gab
es Balance-Probleme mit dem Orchester, Rachlin war kaum zu hören, das Orchester hingegen manches Mal zu direkt im piano. Dazu kam ein arg geräuschvolles Saiten-forte und metrische Indifferenz in den Läufen. Letzteres brachte den 2. Satz einige Male ins Stocken und das eigentlich klare melodische Bild verschwamm. Auch die vielen kleinen Phrasenritardandi bei Solist und Orchester sind ein Zeichen, dass hier Einzelmomenten zuviel Energie gewidmet wurde, die den Fluss des Werkes leider zerstückelten. Der 3. Satz gelang gut, aber auch hier fehlte die letzte Raffinesse. Umso erstaunenswerter war Rachlins Zugabe, ein betörend schlichter und völlig überzeugend ausgestalteter Bach-Satz.
Brahms‘ 1. Sinfonie wurde dann, wie schon 2007 geschehen, mit opulenter vierfacher Holzbläserbesetzung dargeboten, was dem Stück keineswegs schadet. Es war eine hervorragende Aufführung, denn hier zeigten sich zahlreiche Früchte der interpretatorischen Arbeit von Frühbeck de Burgos: ein gemeinsamer Geist stellte sich sofort im wuchtigen Beginn ein, der eine überaus gesunde Basis für farbige Ausgestaltung des Folgenden bildete. Differenzierte Dynamik, schöne Formung der Themen in allen Sätzen und eine besondere Feinfühligkeit des Dirigenten für die liedhaften Mittelsätze war ebenso zu bemerken wie mitreißender, aber nie überbordender Schwung im Finale. Ralf-Carsten Brömsels Geigensolo und die warm timbrierten Hörner bildeten noch die Sahnehaube für diese gute Saisoneröffnung. Natürlich lieben wir Brahms! Und daher dürfen wir uns schon auf das nächste Wochenende freuen, wenn es mit dem kleinen Brahms-Festival im 1. Philharmonischen Konzert weitergeht.
Eine Textfassung des Artikels ist am 30. August in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Foto Johannes Brahms: Wikipedia