Das Fest Alter Musik im Erzgebirge bekommt einen Nachfolger in neuen Dimensionen. Wegen mangelnder Ausstrahlung und unklarer Perspektive für das Festival erhielt es ab 2008 keine Zuschüsse mehr. Nun findet vom 3. bis zum 12. September erstmals das Musikfest Erzgebirge statt. Im jährlichen Wechsel mit den Silbermann-Orgeltagen soll es zu einer festen Einrichtung werden. Den Etat von 350 000 Euro bestreiten fast zu einem Drittel der Kulturraum Mittelsachsen-Erzgebirge sowie das Kunstministerium, die Kulturstiftung Sachsen und Sponsoren. Mit dem künstlerischen Leiter, dem in Dresden gut bekannten und aus dem Erzgebirge stammenden Chorleiter und Dirigenten Hans-Christoph Rademann, sprach Michael Bartsch.
"Warum soll man ein Werk Hasses nicht Philippe Herreweghe oder Jordi Savall anvertrauen?" (Foto: Matthias Heyde)
Der Vorwurf an das seit 1995 stattfindende Fest Alter Musik lautete, es strahle nicht über die Region Erzgebirge hinaus. Muss das jedes Festival?
Es wurde vergleichsweise viel Geld investiert in dieses Fest, insbesondere vom Landkreis über die Kulturraumkasse. Solch ein Zuschuss mag sich im Vergleich zu den Dresdner Musikfestspielen beispielsweise gering ausnehmen, aber für den Landkreis sind das hohe Summen. Dafür wünscht man sich natürlich eine gewisse Ausstrahlung und eine Nachhaltigkeit in der Wirkung. Die erschien dem Landkreis als nicht ausreichend. Deshalb bedurfte es einer vollkommenen Neukreation des Festivals, es musste sich von vorn bis hinten neu erfinden. Das ist keine leichte Aufgabe und kann nur mit einem hervorragenden Team bewältigt werden.
Wie kann das Erzgebirge etwas ganz neu präsentieren, das zumindest der Liebhaber längst kennt?
Wir haben uns vorgenommen, ein neues Label zu kreieren und für das Erzgebirge etwas in Erinnerung zu rufen, was eigentlich längst in ihm lebt. Neben der Volkskunst, dem Weihnachtsland und den Traditionen wollen wir eine Marke der Hochkultur setzen. Es geht um das Musikland Erzgebirge, in dem unser Fest stattfindet.
Mit welchem Konzept setzen Sie das um?
Es basiert auf verschiedenen Programmideen. Die sächsische Komponente ist stark vertreten. Man könnte schmunzelnd sagen, wir machen gleich zu Beginn ein sächsisches Wochenende mit Bach, Kuhnau, Schein und Hasse und sind damit sofort auf kompositorischem Weltniveau. Das ist eine weltweite Einmaligkeit, die nicht jede Region vorweisen kann. Die Musiktradition des Erzgebirges mag aus der Kompensation der harten Arbeit im Bergbau entstanden sein, wie manche meinen. Auch die Nähe zum musikantischen Böhmen hat gewiss eine Rolle gespielt. Eine urmusikalische Region, die zwar von der Volksmusik kommt, aus deren Quelle aber auch große Komponisten und Kreuz- oder Thomaskantoren entsprungen sind. Jetzt geben wir der Region etwas zurück. Wir holen Weltklassekünstler und machen zugleich ein sächsisches Programm.
Wobei es durchaus auch sächsische Weltstars gibt … Wie haben Sie die Auswahl der Interpreten getroffen?
Wir schauen natürlich auch, wer gerade auf dem ‚Markt‘ für Furore sorgt, holen unverbrauchte, aber schon sehr erfolgreiche Leute. Wir geben vor allem jungen Talenten, experimentierfreudigen Interpreten und musikalischen Schatzsuchern ein Podium. Und wir haben bei Besetzungsfragen keinerlei künstlerische Kompromisse zugelassen, ob ein Konzert nun in der Woche oder am Wochenende stattfindet oder ob es sich um einen Gottesdienst handelt.
Aber noch entscheidender ist, dass wir die erzgebirgische Kantorentradition in den Fokus rücken. Wir haben alle Kantoren und Chorleiter der Region zusammengerufen, und am 11. September werden sich wiederum deren Kantoreien vereinigen unter der Leitung des besten denkbaren Mannes für eine solche Aufgabe, Simon Halsey, Partner von Simon Rattle und Leiter des Berliner Rundfunkchores. Ich möchte also Spitzenleute holen und mit den bodenständigen Erzgebirgern zusammenbringen. Ich verspreche mir davon einen starken Impuls für die Sänger, die von einem solchen Erlebnis noch lange zehren werden.
Und solche ambitionierten Laien gibt es ja nach wie vor.
Ja, zum Beispiel den Chor in meiner Heimatstadt Schwarzenberg, das sind 80 Sänger, die wie ein Oratorienchor in großen Städten klingen können. Und Kantor Zimmermann hat keine Nachwuchssorgen. Seine Kurrende ist im Wachsen begriffen. Diese Kantoreien gestalten maßgeblich die Kultur im Erzgebirge.
Es war schon im Vorfeld viel von Weltniveau und Weltstars die Rede. Ohne diese Werbeträger und „Köder“ wird ein Festival heute anscheinend gar nicht mehr gefördert. Muss es immer der Wettlauf um die gleichen Leute sein?
Wir haben einen schönen Plan. Wir wollen gern das Festival fortführen, wovon ich ausgehe. Dann möchten wir die allseits bekannten Interpreten und Zugpferde, die man tatsächlich braucht, um Aufmerksamkeit jenseits der Fachwelt zu erzeugen und um als Veranstalter gewisse Garantien der Konzertauslastung zu haben, dazu bewegen, dass sie eben regionale Musik präsentieren.
So möchten wir ein ganz spezifisches Festival entwickeln, bei dem unsere Musikkultur im Fokus steht. Warum soll man künftig ein Werk Hasses nicht Philippe Herreweghe oder Jordi Savall anvertrauen? Vielleicht kann man so den Musikmarkt ein bisschen produktiv durcheinander bringen.
Aber die Region bleibt auf jeden Fall im Zentrum. Grünhain, wo Schein geboren wurde, ist ein wichtiger Ort. Dort findet am 7.September mit Werken von Daniel Bollius eine wahre Schatzhebung statt. Das sollte man nicht verpassen.
Ermutigt Sie die bisherige Resonanz?
Schon nach dem Stand des Vorverkaufs können wir uns über eine Auslastung von mehr als 80 Prozent freuen. Zahlreiche Hörer heben alle Konzerte gebucht. Etwa ein Viertel der Besucher kommt von auswärts, so dass wir ein wichtiges Ziel schon jetzt erreicht glauben. Die Preise sind so moderat gehalten, dass sich auch jeder Erzgebirger angesprochen fühlen kann. Denn nichts wäre fataler, dort ein anspruchsvolles Festival zu etablieren, das sich die musikliebenden Einwohner nicht leisten können.
Es wird ja auch nicht nur ein Fest der großen Säle, sondern wird wie das Vorgängerfest eine gewisse Intimität und Bodenständigkeit behalten.
Auf jeden Fall, und wir arbeiten deshalb auch eng mit allen Städten zusammen. Die Oberbürgermeister sind im Boot, geben Empfänge vor den Konzerten, die Städte können sich in der Festivalbroschüre präsentieren. Es gibt Einführungsvorträge wie etwa von Hermann Backes in wunderschönen kleinen Sälen Und was kann der Stadt Schwarzenberg Besseres passieren, als dass das Eröffnungskonzert per MDR-Übertragung in ganz Europa zu hören sein wird?
Wenn man Sie hört und die Pressetexte liest, wird deutlich, dass Sie auch einen Werbeeffekt für das ganze Erzgebirge erzielen wollen.
Ja, wir wollen auch etwas für den Tourismus tun. Mir hat ein Organisator der Bachwoche Ansbach mal gesagt: „Wer einmal im Erzgebirge war, der kommt immer wieder!“ Er sprach dabei von seinen eigenen Erfahrungen. Eben das wollen wir erreichen. So bekommt im Festival jeder Musiker eine gedrechselte Figur, den Musikfest-Pikus, eine Neukreation erzgebirgischer Volkskunst. Wir wollen mit unserem Landschaftsfestival einen Dreiklang von Natur, Architektur und Musik kreieren. Wo könnte das besser gelingen als im Erzgebirge?
Das Festival soll weit über die bevorstehende Premiere hinaus etabliert werden. Die Kulturförderung in Sachsen aber steht vor schweren Einschnitten. Bleiben Sie zuversichtlich?
Das bin ich und bleibe es. Denn mit diesem Konzept und Niveau haben wir eine qualitative Stufe erreicht, wie etwa das Bachfest Leipzig oder die Dresdner Musikfestspiele. Und unser hervorragendes Kuratorium unter dem Vorsitz von Landrat Frank Vogel, dem Schirmherren Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler und anderen bedeutenden Persönlichkeiten, denen die Region am Herzen liegt, wird uns dabei tatkräftig unterstützen. Denn sie meinen ebenso wie ich, dass man bei aller Leuchtturmpolitik die „Fläche“ nicht vernachlässigen darf, dass die Region ein solches Festival braucht und verdient hat.