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Vorhang auf, Herzinfarkt – das neue Layout der Semperoper

Zum Amtsantritt der Dresdner Opernintendantin Dr. Ulrike Hessler hat das Haus auch seinen Internetauftritt überarbeiten lassen. Rätselhafte Plakate pflastern zudem Dresdner Bushaltestellen. Warum nur wurde die weltbekannte Kulturmarke mit der neuen Spielzeit bis zur völligen Unkenntlichkeit vermurkst? Wären die Steuergelder anderswo nicht besser angelegt gewesen?

An einem Montag im August schlug mir eine Freundin per E-Mail vor: "Lass uns in dieses Staatskapellen-Konzert gehen, will ich unbedingt hin!!" Tags drauf klickte ich den mitgeschickten Link an – und mir wurde heiß und kalt. Hier musste ein Riesenmissgeschick passiert sein: jemand aus der Opernabteilung hatte eine halbfertige, nicht zu Ende layoutete Seite offenbar aus Versehen ins Netz gestellt. "Fehler", leuchtete mir entgegen, "Error", und das unfertige Satzfragment "The requested page…". Nach ein bisschen Recherche hatte ich jedoch Gewissheit: nein, das soll so. Das ist der neue Internetauftritt der Semperoper Dresden, herzlich willkommen. Mir brach der Schweiß aus.

 

In den folgenden Wochen brach sich das gestalterische Unglück Bahn. Mit der alten Seitenstruktur hat das neue Team radikal aufgeräumt, die Suchmaschinen liefern Opernfreunde aus aller Welt seitdem auf der oben beschriebenen Baustelle ab – und lassen sie dort mit ihrem Schrecken allein. Wohl kann man sich von dort in die neuen Rubriken der virtuellen Semperopernwelt weiterhangeln. Aber was erwartet die Verschüchterten? Ein programmiertes Minenfeld, bei dem man sich unwillkürlich vom Bildschirm wegducken möchte. Fremdsprachige Besucher werden nach drei Klicks aufgeben, da lediglich eine deutsche Version der Seite online ist. Die, die tapfer weitersuchen, müssen Schriftarten ertragen, die nicht für den Bildschirm entwickelt und hier in unlesbaren Größen wild gemixt wurden. Nicht webtaugliche Farben und grenzwertige Farbmischungen tauchen auf und wieder unter. Weiterführende Links muss man mit der Maus suchen – sie werden im Text leider nicht hervorgehoben. Das neu entwickelte Logo – eine farbige Silhouette der Semperoper, auf die Seite gelegt – wäre einen Extra-Artikel wert. Auf der Webseite taucht es wieder in der altbekannten Lage auf, der provokante Witz ist damit vollends flöten. Was ist hier passiert, fragt man sich verzweifelt? Waren im sächsischen Kulturhaushalt denn so viele Gelder übrig, dass man sie dem erstbesten hinterher- und so aus dem Fenster werfen musste? Dass die Oper die hämischen Kritiker des neuen Outfits erst mal ignoriert, ist klar; aber warum sie die vielen, vielen konstruktiven Kommentare und Hinweise auf Fehler nicht aufnimmt und die Seite stattdessen unverändert online lässt, bleibt unklar.

"Wir wollen versuchen, die scheinbaren Gegensätze Tradition und Erneuerung in unserer künstlerischen Arbeit zu verbinden, Werke der Vergangenheit mit den heutigen Mitteln in unsere Zeit zu holen", verspricht die neue Intendantin im so genannten "Editorial" des ebenfalls komplett umgekrempelten "Semper"-Magazins. Ähnliche Pläne mag die auf der Webseite nicht explizit genannte verantwortliche Berliner Agentur "Fons Hickmann m23" gehabt haben. Tradition? Erst mal weg damit. So könnte man die gestalterische Faustregel der Agentur, die Hessler übrigens nicht das erste Mal beauftragt hat, vielleicht zusammenfassen. Dass die Zielgruppe sich vom neuen Ton abgeschreckt zeigen wird, soll da kein Hinderungsgrund sein. Dann holen wir uns eben ein jüngeres Publikum. Ausverkauft ist die Oper eh jeden Abend…

Der deutschlandweite Aufschrei blieb natürlich nicht lange aus (wenn das das Ziel der Agentur gewesen sein sollte, hat sie es erreicht). Designer kommentierten belustigt bis verärgert die vielen offensichtlichen Programmier- und Gestaltungsfehler der Seite. Der Tages-Buschfunk unter Dresdner Opernbesuchern knisterte schon vor der allerersten Inszenierung unter dem neuen Leitungsteam vernehmlich (wenn das das Ziel der Intendantin gewesen sein sollte, hat sie es erreicht). Was aber hat man dem Haus, der etablierten und weltweit bekannten Kulturmarke "Semperoper Dresden" mit dem Relaunch angetan? Und was für einen Eindruck muss auf der anderen Seite das Heimpublikum, das die Oper in einer jüngeren Befragung als abgehoben, touristisch und mitnichten noch irgendwie dresdnerisch einschätzte, nun vom eingeschlagenen Weg der neuen Intendanz halten? Wie soll sich das Hausorchester, die Sächsische Staatskapelle, zukünftig auf ihren internationalen Tourneen präsentieren? Bisher waren die Musiker für ihren samtenen Streicher-, ihren festlich-weichen Bläserklang bekannt, Strauss und Wagner bilden das Kernrepertoire des Ensembles. "The sound of Dresden", dieser "Glanz von altem Gold" (Karajan) – verträgt sich das mit der umstürzlerisch-avantgardistischen Anmutung des neuen Corporate Designs? Oder ist hier einmal mehr nicht über die paar Jahre Intendanz hinausgedacht worden, als man sich an ein gründliches Ausmisten des ach so bürgerlich-konservativen Miefs machte?

"Nein, wir waren es nicht." Eine Dresdner Agentur hatte die Seite seit 2004 betreut (Quelle: Schech)

Die Staatskapelle, hört man, ist alles andere als glücklich mit den gestalterischen Neuigkeiten aus der Chefetage. Die bisherige Hausagentur der Semperoper, das Dresdner Büro schech.net, erklärt auf seiner Webseite trocken und nicht ohne Erleichterung: "Nein, wir waren es nicht!" Unter Webdesignern hat sich die Adresse www.semperoper.de nämlich in Windeseile verbreitet: als abschreckendes Beispiel, und als Beweis dafür, dass auch eine etablierte Agentur mal richtig danebenhauen kann. Internetweit wird also wieder einmal über die Stadt Dresden und die hier wohnenden unbelehrbaren Provinzler, denen man es weder mit so einer schönen Brücke noch mit einem Museum für Moderne Kunst am Neumarkt recht machen konnte, gelächelt und diskutiert; mitleidig oder auch mal mit Schaum vorm Mund. Die Dresdner, die sich vor den rätselhaften Plakaten an den Bushaltestellen versammeln ("Warum sind hier zwei Mädchen mit Currywurst drauf? Ist die Semperoper jetzt vom Brauhaus zur Wurstbude verkommen?"), machen sich ihr eigenes Bild vom ewigen Kampf der Neuerer mit den Erhaltern – ein Thema, was in der Kulturstadt bekanntlich ganz besonders heikel ist. So hat es sich Ulrike Hessler schon in den ersten Tagen ihrer Intendanz mit Sympathisanten verscherzt und viele langjährig treue Opernkunden im Handstreich vergrault. Mutig mag man das nennen. Oder einfach unklug. Die ersten Inszenierungen werden das Bild, das von der künstlerischen Ausrichtung des gesamten Hauses herrscht, entweder schnell zurechtrücken oder – und davor graut es wohl einigen in dieser Stadt – bestätigen.

Der Artikel erscheint demnächst in der Oktober-Ausgabe von "Kunststoff – das mitteldeutsche Kulturmagazin".

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