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Sommerkorrespondenz: Triumph total für Thielemann

Die 99. Bayreuther Festspiele sind zu Ende. 13 ist keine Glückszahl. Über die 13. Ringinszenierung am Ort der Uraufführung wollte kaum jemand so richtig glücklich werden. So entlud sich zum Abschluss der letzten Aufführungsserie noch einmal eine saftige Frust-Salve feiger Buh-Blöker über den Dramatiker Tankred Dorst, der beileibe nicht allein für diese unglückliche Aufführung verantwortlich zu machen ist. Dass dem Mann das Regiehandwerk fremd ist, hätten die Verantwortlichen wissen können. So ist zu bedauern, dass seinen durchaus bedenkenswerten Ansätzen und Ideen kaum schlüssige, szenische Realisierungen, besonders im Hinblick auf die Führung der Personen, entsprechen konnten. Was allerdings seitens des Kostümbildners Bernd Ernst Skodzig zu sehen war, zeugte auch nicht von hoher ästhetischer Kompetenz.

Die Götter sind unter uns, unerkannt (Foto: M. Morgenstern)

Tankred Dorsts Grundidee, dass die Götter sind unter uns sind, in ihren Hinterlassenschaften unerkannt hausen, und bei den Menschen willige Vollstrecker ihrer mörderischen Betrugsspiele gefunden haben, ist dem Werk immanent. Die Bilder dazu von Frank Philipp Schlößmann fügen sich in dieses Konzept und entwickeln etwa mit dem mächtigen Steinbruch als Walküren- Felsen oder einem durch betonierte Bauwillkür geschändeten Wald korrespondierende Dimensionen.
Ein großes Problem in der Aufführungsserie vom 20. bis zum 25. August stellen die Sängerinnen und Sänger der Hauptpartien dar. Das beginnt im Vorspiel „Das Rheingold“. Johan Reuter ist für Albert Dohmen als Wotan eingesprungen. Eine ehrenwerte Leistung, der große Atem fehlt aber noch, und mit der Gleichförmigkeit ihres Gesanges reizt ihn die verdienstvolle Mihoko Fujimura als Fricka auch nicht so sehr nachhaltig zu ertrotzen, wer hier der Herr in den Ruinen ist.

Den nachhaltigsten Eindruck im „Rheingold“ vermittelt Christa Meyer als Erda einmal durch ihre ausgezeichnete Textverständlichkeit und noch stärker durch die Wärme ihres Klanges, mit dem sie am ehesten im Ringensemble 2010 so etwas wie Faszination verbreiten kann. Dass es Andrew Shore als Alberich gelingt, das Gold den Rheintöchtern zu rauben, verdankt er dem Textbuch.

Dass nahezu einwandfreier Gesang allein auch nicht reicht, ist die Tragik des Johann Botha als Siegmund am ersten Tag des Bühnenweihfestspiels in „Die Walküre“. Hier walten körperlich bedingte Statuarik und Rechtmäßigkeit, es mangelt an jungem Überschwang, am verletzlichen Ausdruck tiefer Empfindung. Erotisches Flirren vermisst man auch bei der vornehmlich kraftvoll singenden Edith Haller als Siglinde. So recht blühen will das wilde Wälsungenblut nicht, und der Wonnemond blinzelt eher bescheiden. So geht es fort: es fehlen Sängerinnen und Sänger, deren Gesang uns anrührt, deren Stimmen uns umhüllen. Manchmal freilich, bei einem erfahrenen Sänger wie Albert Dohmen, der für „Die Walküre“ und „Siegfried“ als Wotan und Wanderer wieder genesen ist, bringt die spürbare Mühe eine gewisse Berührung. Sie macht das Scheitern dieser Figur hörbar.

Dann ist da aber auch gleich wieder diese störende Begrenzung die der Angst geschuldet ist, dass es nicht ausreichen könnte, dass der gefallene Gott auf verlorenem Posten seine Wanderschaft schon beenden müsste, bevor sein munterer Enkel Siegfried ihn aus dem Weg räumen wird, um mit seiner Stieftante Brünnhilde ein Verhältnis einzugehen, das zwar kinderlos, aber nicht folgenlos bleiben wird. Lance Ryan ist der jugendlich singende Bilderbuchheld, dem im Spiel ein solches Maß an Naivität auferlegt ist, dass die Grenzen zu kindischen Albernheiten oft überschritten werden müssen.

Immerhin hat der lange Schlaf für Linda Watson als Brünnhilde verjüngende Wirkung. Auf der unbequemen Holzpritsche im Steinbruch erwacht in „Siegfried“ eine wesentlich attraktivere Wotanstochter als jene unvorteilhaft gekleidete Lachamazone, der der Gott in „Die Walküre“ viel Schlaf und intensive Wärme am offenen Feuer verordnet hatte.
Gesanglich ist diese Frau ein Phänomen. Da gibt es Passagen von solcher Angestrengtheit, die in forcierte Schärfen führen müssen. Dann aber verfügt sie über berührende, beinahe weiche Töne, und ihr großer Abschied im monumentalen Finale „Die Götterdämmerung“ führt zu jenen besonderen Hörerlebnissen, die nicht durch Makellosigkeit zu beschreiben sind und noch weniger durch den hier völlig unangemessenen Begriff der Mühelosigkeit, sondern deren Wirkung von jenen Momenten tiefster Berührung ausgeht, die den Hörenden mit der Sängerin vereinen.

Vereint im großen Jubel an allen vier Abenden, am Ende besonders, alle im Festspielhaus, wenn Christian Thielemann vor den Vorhang tritt. Das Gold in diesem Bayreuther Ring kam aus der Tiefe. Unvergesslich jener Beginn, der Anfang von Allem, das „Wiegenlied der Welt“, wenn noch alle Ruhelosigkeit gebannt ist, allein die ruhige, heitere Bewegung aufklingt, wie aus dem Nichts. In der besonderen Schönheit des Streicherklanges des Festspielorchesters, in dem allein 18 Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle spielen, lässt Thielemann Erinnerungen an das was für immer verloren ist, aufklingen. Er weiß auch der drängenden Ruhelosigkeit im Walküren-Vorspiel beängstigende Dimensionen zu geben, der Aufbruchsstimmung im ersten Finale den Klang der Vergeblichkeit beizumischen und – hier können nur Beispiele angeführt werden – in „Die Götterdämmerung“ dem Trauermarsch die verstörende Kraft in einem ungewöhnlichen Maß der Behutsamkeit abzugewinnen. Der Triumph für ihn ist total: kein Zurückhalten der Begeisterung, wenn am letzten Abend das Orchester aus der Tiefe auf die Bühne kommt.

Von diesen Menschen und ihrem Spiel ging die Faszination aus, von ihnen kamen jene Töne, die uns umhüllen, in deren Nachklängen Wagners melancholische Utopien lebendig sind.

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