Drei Tage, drei Nächte. Ein halbes Jahrhundert, nachdem der Film „Fünf Tage – fünf Nächte“ in und um Dresden gedreht worden ist, zog das Propagandaereignis von damals ein Festival nach sich, das ausschließlich der Musik von Dmitri Schostakowitsch gewidmet ist. Die gestern zu Ende gegangenen 1. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch sind das weltweit einzige Musikfest mit diesem Alleinstellungsmerkmal. Sie knüpfen an den Aufenthalt des sowjetischen Komponisten vor genau 50 Jahren an, der die Dreharbeiten im geschundenen Dresden besuchte und im Gästehaus des DDR-Ministerrates in der Sächsischen Schweiz die Filmmusik dazu schreiben sollte.
Was er da komponierte, war bekanntlich keine Auftrags- oder Gebrauchsmusik, sondern sein höchst verinnerlichtes 8. Streichquartett g-Moll. Die einzige außerhalb seines Heimatlandes geschriebene Musik und zugleich eine mehr, in der die Initialen von D-Es-C-H in Noten geflossen sind. So konsequent wie in dieser vielfach gedeuteten Komposition – parteiische Doktrinäre wollten darin den Bombenfall auf Dresden gehört haben – ist den biografischen Spuren im Werk des Künstlers sehr selten nachgegangen worden.
Das halbe Jahrhundert, der nahgelegene Ort, die einst sehr intensiven Bezüge der Sächsischen Staatskapelle zum OEuvre Schostakowitschs …, alles gute Gründe, sich auf das Ereignis zu besinnen und es unter heutigen Bedingungen mit Leben, mit Kunst auszufüllen.
Wer da meint, es gäbe in Deutschland und namentlich in Sachsen doch schon mehr als genug Festivals, der dürfte das Originäre dieser Schostakowitsch Tage verkannt haben. Nicht nur, dass der 1906 in St. Petersburg geborene und 1975 in Moskau verstorbene Musiker eine singuläre Erscheinung im kompositorischen Schaffen des vergangenen Jahrhunderts einnimmt, er ist auch von den gesellschaftspolitischen Glaubenskämpfen, von ideologischen Kunstdebatten und von anhaltendem Leid kriegerischer Verbrechen geprägt worden. Eine Wiedergutmachung an dieser Persönlichkeit ist somit nicht losgelöst von einem Appell gegen jegliche Art von Diktatur und menschlicher Unterdrückung zu sehen.
Die Partitur am Herzen
Die Initiatoren dieses Festivals, insbesondere dessen Künstlerischer Leiter Tobias Niederschlag, mögen vom Erfolg ihrer Idee vielleicht selbst überrascht sein. Binnen Jahresfrist wurde ein Verein mit Gohrischs Bürgermeister Tom Vollmann als Vorsitz gegründet, der rasch die gesamte Gemeinde auf Schostakowitsch einstimmte. Ein so kulturaffines „Oberhaupt“ stünde mancher Großstadt gut zu Gesicht! In kurzer Zeit wurde ein Schostakowitsch-Platz – deutschlandweit der erste und einzige – geweiht und eine Büste mitten im Ort aufgestellt. Für die Veranstaltungen ist eine Scheune als Konzertsaal hergerichtet worden. Mit stimmiger Logistik und selbstausbeuterischem Marketing wurden die drei Tage in Gohrisch zu einem vielbeachteten und erstaunlich gut besuchten Fest, das internationale Gäste anzog und sogar die Tagesschau motivierte.
Erstaunlich gut besucht… (Foto: M. Ernst)
Natürlich stand das 8. Streichquartett im Programm, natürlich auch dessen von Rudolf Barschei erarbeitete kammersinfonische Fassung. Der Weggefährte und einstige Schüler von Schostakowitsch musste die musikalische Leitung der Staatskapelle krankheitsbedingt absagen, bekam aber, wenn auch in Abwesenheit, wie vorgesehen den 1. Internationalen Schostakowitsch Preis Gohrisch. Für ihn sprang Michail Jurowski ein, der von Kindheitstagen an eng mit dem Komponisten verbunden war und zudem auch einiges an Repressalien in der Sowjetunion zu spüren bekam. Wie er als wahrer Sachwalter am Pult durchs 1. Cellokonzert und durch die Kammersinfonie für Streichorchester führte, das war ergreifend und machte den monogrammatischen Impetus nicht nur des D-Es-C-H-Motivs noch einmal tief innerlich spürbar. Langes Schweigen nach dem letzten Akkord – und tosender Beifall, als Jurowski symbolisch die Partitur an sein Herz drückte.
Hier wurde statt Stroh musikalisches Gold gesponnen: die neue Konzertscheune Gohrisch (Foto: M. Creutziger)
Bewegende Momente gab es in der Konzertscheune, wo im Gegensatz zu anderen Sälen kein Mal in die Sätze geklatscht wurde, einige. Das Dresdner Streichquartett und Pianist Igor Levit eröffneten den Schostakowitsch-Dialog mit dem 1940 geschriebenen Klavierquintett g-Moll, in dem der Ton der quälerischen Selbstbefragung schon deutlich anklingt. Zum Finale des Kammerabends am Freitag führte das grandiose Kapell-Ensemble das in Gohrisch entstandene Streichquartett auf – durchgehend intensiv und bestens präpariert, der Genius Loci hat da wohl mitgewirkt – und stiftete zu einer hochkonzentrierten Atmosphäre. Bereits der Start des Festivals war mit einer Uraufführung versehen, die vom Berliner Sinus-Quartett gestaltet wurde und das Streichquartett Nr. 13 von Krzysztof Meyer aus der Taufe hob. Ein expressives Werk mit besinnungsvollen Momenten, wie ein fragendes Rückblicken auf das große Vorbild des 1943 geborenen polnischen Komponisten.
„Der Schmerz des Krieges“
Neben den gefeierten Konzerten, die auch von der hervorragenden Akustik dieser so simplen Scheune lebten und jeweils mit goldgelben Sonnenblumen für die Interpreten bedacht wurden, gab es Führungen zum Entstehungsort des Streichquartetts und Begegnungen mit Zeitzeugen. Respekt und eine große Verneigung vor Irina Schostakowitsch, der Witwe des Komponisten, die nicht nur bewegend aus dem gemeinsamen Leben berichtete, sondern obendrein mit einer Geste der Wertschätzung überraschte: Sie schenkte eine Plastik des 1931 in Leningrad geborenen Bildhauers Michail A. Zwjagin, deren Titel „Der Schmerz des Krieges“ das Anliegen versinnbildlicht. Das Werk soll in Dresden einen würdigen Platz finden und könnte etwa neben dem Nagelkreuz aus Coventry eine ideelle Brücke dreier vom Wahnsinn des Krieges gezeichneter Städte bilden.
Hingebungsvoll: Isang Enders (Foto: M. Creutziger)
Zum gestrigen Ausklang brachten der Geiger Igor Malinovsky, Cellist Isang Enders (der bereits das Cellokonzert hingabevoll interpretierte) und Pianist Igor Levit drei Schostakowitsch-Sonaten nach Gohrisch und kündeten in ihren exzellenten Vorträgen von einer Weitergabe der Schostakowitsch-Pflege an die Sachwalter der jüngeren Generation. Wer sich diese drei Namen noch nicht gemerkt haben sollte, wird es spätestens nach diesem Konzert tun.
Unvergessen sind die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch, deren Schirmherr Stanislaw Tillich beim nächsten Mal unbedingt mit vor Ort sein sollte. Gelegenheit hätten er und die Musikwelt vom 16. bis 18. September 2011. Das war die wohl beste Nachricht an diesem Wochenende. Die zweitbeste: Alle Konzerte wurden von MDR Figaro aufgezeichnet, das Kapell-Konzert mit Jurowski wird am Donnerstag (16. September 2010) ab 20.05 Uhr gesendet.
Eine Textfassung des Artikels ist am 13. September in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.