Der Raum ist klein. Wir sitzen eng beieinander. Zuerst ein Knattern. Das ist elektronisch und wird sich noch verstärken oder abklingen. Dann umfängt es uns flächig als elektronischer Sound. Manchmal klingen tänzerische, liebliche Passagen vom Piano durch die Klang-Smog-Wolke von Daniel Williams.
Wer von „Mascara – Maskerade der sieben Todsünden“ eine übliche Szenenfolge in Bildern zu den berühmten sieben Hauptsünden erwartet, wird nicht bedient. Wer eine direkte Ausdeutung mit klarem Aktualitätsbezug, etwa im Hinblick auf die Vergehen von Politik, Wirtschaft oder den religiös, moralisch und ökologisch wackelnden Zeigefinger erwartet, kommt auch nicht auf seine Kosten.
Das läge ja nahe. Auch wenn erst Papst Gregor I, der von 540 bis 604 lebte, diesen Katalog der gefährlichsten, aber eben nicht biblisch begründeten Hauptvergehen festschrieb, so sind sie aber doch die Hauptfeinde des biblischen, siebentägigen Schöpfungswerkes.
Das wissen die drei Schöpferinnen dieses kleinen, aber feinen Dresdner Erschöpfungstheaters sicher alles, sie wissen auch, wie Brecht und Bausch und viele andere diese unsterblichen unheiligen Sieben behandelt haben. Katja Erfurth, Sabine Köhler und Carola Tautz, Tänzerinnen, Darstellerinnen, auch Herstellerinnen wunderbarer Masken und Kostüme inszenieren, zelebrieren, tanzen und spielen im Licht von Falk Dittrich, technisch betreut von Uwe Loßnitzer, ein verwirrend verwobenes Bilderspiel aus sicherlich sieben Sündenmotiven, die sich aber niemals gänzlich scharf voneinander scheiden lassen.
Manchmal direkter erkennbar, dann wieder miteinander verwoben, einzeln oder in poetischer Dreieinigkeit ineinander übergehender Körperbilder, zeigen sie sich alle auf dem kleinen Podium im Keller des Theaters: die Eitelkeit und der Geiz, der Zorn und der Neid, Völlerei, Trägheit und Wollust. Mache Bilder scheinen der Renaissance verwandt, die strengen Gesichter in goldenen Rahmen, manches erinnert von Ferne an die stillen Bildfantasien der polnischen Avantgarde in den 70ger Jahren, etliche Motive haben ihre Heimat in Absurdistan. Kann man doch schwerlich vergessen, die Frau im Goldrahmen mit den goldenen Brüsten, die sich umkehren und als üppige Blutorangen ausgepresst werden.
Fotos: Max Messer
Das versehrte Geschöpf auf einem Bein, das sich freiwillig in den goldenen Käfig quetscht, ein Monstrum wie aus den Bildwelten Boschs, ein gehäutetes Tier in goldenen Schuhen, das sich an goldenen Kugeln überfrisst. Manchmal tragen die Tänzerinnen kleine Maskengesichter an den Knien, darüber sind sie schwarz gekleidet, so dass die Fantasie des Zuschauers gerne dem zornigen Kampf sechs einbeiniger Zwerge zusehen mag. Dann wieder wachsen aus den Armen der Protagonistinnen jeweils überlange Geizfinger wie knorrig vertrocknetes Wurzelwerk und was sie in anmutiger Symmetrie der Bewegungen vollführen könnte man fast schön finden. Bis am Ende rote amorphe Wesen ohne Gesichter und erkennbare Struktur sich erst tastend, dann gierig miteinander verknoten und wir wahrscheinlich einem gewaltigen, wollüstigen Zungenkuss beiwohnen.
Das alles geschieht in einer Theaterstunde aus Farben, Klängen, Bewegung, minimalistischem Tanz und vor allem dem geformten Spiel mit der Fantasie. Eine wundersame Verwirrung der Wahrnehmung. Viele Pfade der Assoziationen werden aufzeigt. Aber es wird keine Rechnung aufgemacht. Doch kraft der Stille und der Konzentration die diese Komposition aus Sünden grundieren, wird unser Blick auf einige Dinge gerichtet, mit denen wir einfach rechnen müssen.
Nächster Termin "Mascara": 24. Oktober im Societätstheater Dresden