Einfach nett. Scheen und neett. Warten auf Buffet. Es waren zwar unbezweifelbar honorige und integre Persönlichkeiten aus Hamburg und Dresden, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière zur vierten und letzen Veranstaltung des „Gemischten Doppels“ eingeladen hatte. Eine Gesprächsreihe in Ost-West-Partnerstädten, die deren parallele kulturelle Entwicklung im 20. Jahr der Deutschen Einheit beleuchten sollte. Aber der alte höfische Geist des Dresdner Veranstaltungsortes, der doch ein so aufgeklärter und weltoffener geworden ist, schien noch einmal aufzuerstehen. Das sonst eher öffnende als abschirmende wunderbare Glasdach über dem Kleinen Schlosshof erzeugte über quälende zwei Stunden plötzlich wieder jene stickige Atmosphäre, wie man sie als Bürger mit Osterfahrung von Jahrestagsveranstaltungen früherer Prägung noch in Erinnerung hat.
So unberührt von den sich tatsächlich vollziehenden Veränderungen, vom Paradigmenwechsel in Dresden, von den aktuellen Problemen in Stadt und Land vollzog sich am Freitagabend die Diskussion, die eigentlich gar keine war. Denn die Moderatorin sorgte eher für eine Abfrage all der Artigkeiten, die man sowohl dem 20. Jahrestag als auch dem unkaputtbar schönen Florenz des Nordens schuldig zu sein glaubt. In diesem Geisterraum fiel kein Wort über die anstehenden Einschnitte in die sächsische Kulturförderung, kein Satz darüber, dass die Kunststadt Dresden zwar ein Stadion und ein Kongresszentrum und eine zweifelhafte Brücke gebaut hat, aber in 20 Jahren kein einziges Projekt ihrer teils dringenden städtischen Kulturbauten verwirklichte. Als wäre nicht tags zuvor erst das Kulturkraftwerk Mitte beerdigt worden. Die Kostenexplosion beim Umbau des Hamburger Hafenspeichers zur Elbphilharmonie wurde freilich ebenso wenig thematisiert.
Thomas de Maizière besitzt gewiss nicht nur als Schirmherr des Moritzburg-Festivals einen genuinen Zugang zur Kunst. Aber zu behaupten, die Dresdner wollten nur das Wendetheater der friedlichen Revolution wiederhaben, dürfte die Dresdner Theatergemeinde als diskriminierend empfinden. Später fragte die Moderatorin allen Ernstes nach, ob es nach 20 Jahren auf den Ost-Bühnen noch einen Nachholebedarf an West-Autoren gebe. Und bei Peter Schreier genügen eigentlich wenige Liedtakte von der Konserve, um jede Kritik verstummen zu lassen. Dennoch mutete angesichts so vieler architektonischer Allerwelts-Scheußlichkeiten sein Statement wunderlich an, ausgerechnet die Baukultur in Dresden habe am meisten von der Wiedervereinigung profitiert. Beide gaben dem hartnäckigen Dresdner Konservatismus die Schuld daran, dass es die zeitgenössische Kunst in der Stadt so schwer habe. „Wenn einer sagen würde, wir brauchen eine moderne Gemäldegalerie, gäbe es wohl keine Zustimmung“, so de Maizière. Was Peter Schreier aber nicht hinderte, die „Stadtverordneten“ zu „mehr Traditionsbewusstsein“ aufzufordern.
So wurden fleißig nahezu alle gängigen Klischees über Dresden bemüht. Völlig vergessen, dass es ein Ministerpräsident namens Kurt Biedenkopf war, der das Stella-Projekt an der Ostraallee, die so genannten „Napfkuchen“ aus Geschmacksgründen verhinderte. Kein Wort über die Bemühungen der Städtischen Galerie im Landhaus um aktuelle Kunst. Erst eine Zuhörerin musste die kleinen Galerien erwähnen. Der Begriff „Hellerau“ fiel nicht ein einziges Mal. Schon gar keine Rede davon, wie schwer es die OSTRALE hat, an Förderung zu gelangen. Und so weiter.
Eigentlich sollte es ja um die 1987 geschlossene Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Dresden gehen. Lisa Kosok, Direktorin des Hamburgmuseums, und Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant der ob ihres spektakulären Neubaus überregional bekannten Elbphilharmonie, erwiesen sich zwar als glänzende Plauderer. Aber elbauf- wie abwärts verbarg man mit mehr oder weniger Charme doch die Unkenntnis zumindest über Details der Partnerstadt. Über aktuelle Partnerschaftsbeziehungen war außer von einer Anfrage zur Nachnutzung der Ausstellung „Arbeit Sinn Sorge“ im viel gelobten Hygienemuseum überhaupt nichts zu erfahren. Zumindest rückblickend hätte man dann ja wohl die Achse Berghofer-Voscherau erwähnen müssen, aber das erschien im Jubeljahr 20 gewiss nicht opportun. Es gibt heute noch Nutznießer und Erben dieser sensationellen mauerüberspringenden Verbindung, man denke nur an die aus der Körber-Niederlassung hervorgegangene Bürgerstiftung.
Der im Gespräch erwähnte Hamburger Star-Club hat allerdings den Dresdner Star-Club auch nicht retten können. Auf welche Kultur kann Dresden stolz sein? In Hamburg müsse sich die Kultur ständig rechtfertigen, in Dresden werde man da wahrscheinlich mehr geliebt, vermutete die Professorin Lisa Kosok. Wen sie meinte, sagte sie nicht, aber die Stadtverwaltung kann es kaum gewesen sein.
Der Riesling hinterher war angesichts der verstaubten Diskussion fast ein wenig zu frisch. Kulturverantwortliche und Kunstengagierte in Dresden, die mit ganz wenigen Ausnahmen der Diskussion präventiv fernblieben, haben nichts versäumt.
Eine Textfassung des Artikels ist in am 20. September in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.