Ahab, die Sächsische Staatskapelle ist hochseetauglich. Das war nun sicher nicht die ganz große Überraschung dieses Walfangprojektes in der Gläsernen Manufaktur. Frei nach Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ umschiffte das an Höhen, Tiefen und Untiefen gewohnte Orchester eine Reihe von Klippen, geriet in Sturm und Taifun, durfte sich letztlich aber an einem sonnig von Applaus umtosten Strand des Erfolges glücklich schätzen. Meeresstille und Glückliche Fahrt. Sebastian Weigle ist der Kapelle bei dieser Tour auf Teufel komm raus ein kundiger Kapitän gewesen. Selbst wenn es geradewegs in dichte Nebelwände hineinging oder direkt der Meeresboden anvisiert wurde, ließ sich der Mann am Pult durch nichts beirren und hielt mit strammen Gesten Kurs.
Keine leichte Aufgabe, wenn der ganze Kahn direkt auf einen Untergang zusteuert. Zu verdanken ist das der Besessenheit eben jenes Ahab, der dem Projekt den Titel gab und der als teuflischer Racheengel vom weißen Wal besessen, ihm verfallen ist. Um den Meeresriesen zu vernichten, weil der ihm ein Bein abgebissen haben soll, setzt der Käpt’n alles aufs Spiel. Sein Schiff, seine Mannschaft, alle müssen dran glauben. Bis auf Ishmael, dem einzigen Überlebenden, der so zum Berichterstatter der Tragödie wird.
Im wirklichen Leben gab es mit Komponist Libor Síma und Produzent Martin Mühleis immerhin zwei Besessene, die an das Projekt namens „AHAB“ glaubten und aus dem dicken Roman eine reichlich verknappte „Sinfonische Parabel für einen Schauspieler und Orchester“ schufen. Sie fanden zwar Mitstreiter wie Weigle sowie bei der Kapelle und deren Partner VW, doch mit Widerständen hatten auch sie bis ganz zum Schluss ziemlich zu ringen. Gut eine Woche vor der Premiere sprang, wie berichtet, dieser eine Schauspieler eitel ab, ließ den Rest der Mannschaft, das Orchester, im Regen stehen und hätte die gesamte Parabel platzen können. Hätte, wäre da nicht der im echten Leben eher wasserscheue Dominique Horwitz eingesprungen.
Landratte Horwitz stürzte sich mit Begeisterung ins Projekt (Foto: Matthias Creutziger)
Der hat sich wacker durch das knapp eineinhalbstündige Programm geschlagen, er stürzte sich in das Projekt, konnte und wollte dazu trotz drangvollem Kalender nicht Nein sagen, sondern paddelte, ruderte, segelte abenteuerlich durch das Geschehen, schäumte und spritzte sich stürmisch über die Wellen der Weltmeere hinweg, sprach gestenreich und stimmgewaltig wider den wogenden Orchesterklang und hatte am Ende der tragischen Reise wohl alle Herzen für sich gewonnen. Es war ein gewaltiger Kraftakt, der ihm da abverlangt wurde, dem er sich gestellt hat und den er – darin ganz und gar Profi – bezwang.
Die Besatzung, der er sich anvertraut hat, erwies sich einmal mehr als gut präpariertes Uraufführungsorchester, das auch durch fremde Wässer ohne Balken zu schippern vermag. Wobei die Musik in diesem Fall einerseits opulent illustrierend diente und sämtliche Bilder zur Handlung in den Köpfen des Publikums erzeugte, andererseits auf eine Fülle von hübsch versteckten Zitaten setzen durfte, die der sinfonischen Parabel ein kräftiges Schillern vor allem von Bernstein verlieh. Ein so pastoser Farbklang verlangt geradezu nach mit starkem Strich animierten Szenen. In diesem Fall aber kreisten die Assoziationen in emotionaler Breitenwirkung um Noten und Worte. Die wenigen Versprecher mögen angesichts der kurzen Probenzeit zu vernachlässigen sein, das vielfach vom Orchesterklang überlagerte Textmaterial war dagegen trotz aufwändigen Aussteuerns schon eine Entbehrung.
Eine Neuinterpretation des sinnbildlichen Stoffes wagte das Melvilles Original ohnehin verkürzende „AHAB“-Projekt nicht. Was aber, wenn Ahabs einstiger Mastbruch nur eine Metapher und der weiße Wal als dafür zuständiges Weib zu sehen ist, als walhaft dickes Weib; das Ganze also „nur“ eine bitter verblendete Rache-Tragödie? In diesen Abgrund blickte die Neudeutung denn doch nicht.
Von der Elbe segelt das Meeresschäumen nun an die Oos. In Baden-Baden wird mit „AHAB“ am Mittwoch die Herbstsaison im Festspielhaus eröffnet. Nach dem Dresdner Publikumserfolg scheint auch die erhoffte CD realistisch zu sein. Ob der Produzenten-Wunsch weiterer „AHAB“-Aufführungen in Erfüllung geht, bleibt erst einmal abzuwarten.
Eine Textfassung des Artikels ist am 27. September in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.