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Ich will nicht das Rad neu erfinden – Komponist Morton Subotnick bei den Tonlagen Hellerau

Mit der deutschen Erstaufführung des Musiktheaters "Jacob’s Room" des amerikanischen Komponisten Morton Subotnick (*1933) wurde am Freitag im Festspielhaus Hellerau das Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik "Tonlagen" eröffnet. Der Komponist gilt als einer der Pioniere der elektronischen Musik in den USA, Alexander Keuk sprach vor der Premiere mit ihm.

Mr. Subotnick, wer ist dieser Jacob, was hat es mit dem Raum auf sich?

Oh, da muss ich etwas ausholen. Als ich damals mit dem Stück anfing, suchte ich nach einem Text und stieß auf eine Passage in Virginia Woolfs "Jacob’s Room" – der Protagonist kommt nach Hause aus dem Britischen Museum, das ihm die Welt und die Zivilisation zeigte. Er ist allein und liest Platon, ist in seiner eigenen Welt und merkt erst am anderen Morgen beim Öffnen der Vorhänge, dass es geregnet hat – er ist zurück in der Realität. In meiner Geschichte ist Jacob ein Holocaust-Überlebender, der zurück auf sich selbst geworfen ist. Man sieht: der Mensch kann
alles, das Gehirn macht alles möglich, aber es kann auch einen schlechten Job machen und alles zerstören, sogar die Erinnerung.

Also eine Ausnahmesituation, ein Focus auf das Individuum?

Ja, zum einen hatte er den Kontakt zur Vergangenheit verloren, und hier kommt ihm alles wieder ins Gedächtnis. Das andere, was mich auch interessiert, ist nicht so sehr die Schuldfrage, die der Überlebende sich stellt, aber das Alleinsein steht im Zentrum des Stückes – es ist schmerzvoll, das Alleinsein zu erleben, die Erfahrung der Gegenwart zu erleben. Es ist an Dir, die Dinge besser oder anders zu machen, aber das Angesicht dessen kann sehr schmerzvoll sein.

Alleinsein ist hier also nicht als Einsamkeit gemeint?

Nein, eher als Gegensatz zu einer Masse oder Gruppe, die schreckliche Dinge tun kann. Meine Oper bietet auch keine Lösung, es gibt kein Happy-End oder dergleichen, aber vielleicht ein Angebot für die Leute, sich mit dem Thema zu beschäftigen – verändern will ich niemanden. Aber möglicherweise ist es ein interessanter Ansatz, auf sich selbst
zurückgeworfen zu sein, in jeder Hinsicht.

Wie kam es zu diesem doch existentiellen Stück in Ihrem OEuvre?

Es hat eine lange Geschichte, begann als Auftrag für Sopran und Streichquartett, dann sollte es szenisch realisiert werden, schließlich wurde eine Kammeroper daraus, die 1993 realisiert wurde, aber das Stück war noch nicht fertig. Jetzt habe ich viel daran gearbeitet für die Aufführung in Bregenz und jetzt in Hellerau, nun bin ich soweit zu
sagen, das Stück ist fertig, aber mir ist auch wichtig zu sagen, dass der ursprüngliche Geist des Werkes immer noch enthalten ist.

Welche Möglichkeiten nutzen Sie für die Oper, Sie sind ja ein Komponist, der sowohl elektronische als auch instrumentale Möglichkeiten gleichermaßen innovativ nutzt?

Es ist jetzt eine Fassung mit Sängern und vier Celli – ich könnte 68 Celli haben für den Klang, den ich anstrebe, nun sind es aber vier – dazu Elektronik und eine sehr erweiterte Vokalbehandlung. Der Frage nach dem Menschsein, die hier aufgeworfen wird, versuche ich zu begegnen, indem ich wieder zurück zur "Kreatur" komme und erforsche, welcher
Ausdruck etwa der Lautäußerung möglich ist – bedenken Sie, dass in unserem Hirn immer noch ein reptilischer Teil vorhanden ist. So gibt es sowohl tiefe brummende Geräusche aus dem Bauch heraus als auch Zischen gleich einer Schlange. Ich habe versucht eine Art "creatureness" zu erzeugen.

Sie gelten als einer der Pioniere der elektronischen Musik, haben schon
1963 einen analogen Synthesizer entwickelt. Dennoch haben Sie auch
Instrumentalmusik geschrieben?

Erst kam die Elektronik, ich wollte etwas Neues schaffen, was noch nie da war, der Buchla-Synthesizer gab mir die Möglichkeit dazu, Klänge
selbst zu erfinden. Später kam ich dann zurück zur instrumentalen Komposition, später auch zur multimedialen Musik und arbeitete dort die
Erfahrungen ein.

Heute galoppiert die Technik, wir schreiben bereits an einer Musikgeschichte der elektronischen Musik, wie beobachten Sie die Szene heute?

Wir sind doch erst am Anfang! Fragen Sie mich in 60, 70 Jahren noch einmal – die Synthesizer wurden ja damals nicht entwickelt um wohltemperierte Musik darauf zu spielen, da gibt es oft ein Missverständnis. Die Technik hat sich zwar enorm weiterentwickelt und natürlich arbeiten die DJs heute damit, das ist auch gut so. Aber es sind in der Kreativität noch so viele neue Wege zu erschließen, die weit jenseits unseres derzeitigen Gebrauchs und unserer Vorstellungskraft von Computern liegen.

 

Wie ist dann Ihre Beziehung zur Tradition?

Ich habe mal gesagt, Tradition sollte man vergessen. Das war vielleicht ein bißchen vorlaut, heute würde ich sagen, natürlich sollten wir damit umgehen, Tradition ist wundervoll. Aber schauen Sie sich ein kleines Kind an: das ganze Leben hat es vor sich – schauen Sie, wie es Dinge entdeckt und kreativ damit umgeht. Als 40jähriger schaut man vielleicht gerne zurück und liest die alten Bücher. Aber für mich ist es spannender nach vorne zu schauen.

Also suchen Sie auch heute noch nach der Innovation, dem Neuen in der Musik?

Ich will nicht das Rad neu erfinden. Aber man muss sich bewusst sein, der Zugang zu allem ist heute unheimlich leicht, aber das härteste ist, sich klarzumachen, was man will, wie man die Möglichkeiten sinnvoll verbindet. Vor hunderten von Jahren hat man das Wasser mit der Hand zum Mund geschöpft, was haben wir heute? (zeigt auf eine Wasserflasche) – wir sollten uns den Sinn unserer Tätigkeiten wieder bewusst machen.

Eine Textfassung des Artikels ist am 1. Oktober in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

Foto Morton Subotnick: PR / Hellerau

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