Als Richard Strauss seine Oper „Daphne“ schrieb, war er bereits seit fünf Jahren Präsident der Reichsmusikkammer. Seine bisherigen Lieblingslibrettisten Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig waren für ihn nicht mehr verfügbar – Hofmannsthal starb 1929, Zweig emigrierte 1934 nach London und zählte ein Jahr später zu den in Deutschland verbotenen Autoren. Dessen Libretto für „Die Schweigsame Frau“ dürfte die vorerst letzte Namensnennung gewesen sein, von Strauss noch persönlich durchgesetzt. Hitler und Goebbels sagten daraufhin ihren Premierenbesuch ab. Strauss verlor daraufhin seinen Kammer-Posten und komponierte 1936 die Eröffnungshymne der Olympischen Spiele.
Mit anderen Worten: Als Richard Strauss vor genau 72 Jahren an der Bukolischen Tragödie „Daphne“ arbeitete, dürfte dem Verehrten, Verstrickten und Verängstigten der Rückgriff auf griechische Antike ein sehr bewusstes Vorgehen gewesen sein. Heute ist es müßig, darüber zu fachsimpeln, ob es ein taktisches Manöver gewesen ist, das vorsichtig mit Kopfeinziehen zu umschreiben wäre, oder ob Strauss eine Analogie im historischen Götterstoff sah. Immerhin haben die Nazis eine Menge an Kult umgedeutet und für ihre Zwecke ausgenutzt.
Achtung, sagt der Zeigefinger, wir sind beteiligt. Und böse Nazi-Lichtgestalten verführen auch heute noch.
Auf jeden Fall hat Regisseur Torsten Fischer, der die auf einem reichlich verquasten Libretto von Joseph Gregor basierende „Daphne“ jetzt an der Semperoper inszenierte, die Verbindung zur Entstehungszeit gesehen, wohl auch sehen und zeigen wollen und in seinem Dresden-Debüt teils überdeutlich auf die Bühne gesetzt. Anders als zur Uraufführung 1938, bei der die „Daphne“ noch mit Straussens wenig zuvor in München herausgekommenen „Friedenstag“ kombiniert worden war, wird das Werk heute zumeist pur präsentiert. Wenn sich überhaupt ein Haus an diesen etwas schwülstigen Aufzug heranwagt. Auch in Dresden ist diese Oper mehr als fünfzig Jahre nicht gezeigt worden. Die Premiere am 2. Oktober endete mit einem Buh-Konzert für die Regie, auch in der zweiten Vorstellung tönte noch heftiger Widerspruch aus dem nicht mal ganz ausverkauften Gestühl.
Daphne ist Scholl
Der Berliner Regisseur wollte genau auf die Musik hören und fand darin „eine Menge Zeitgefühl“. Also verlagerte er das an Flötentönen reiche Schäferdrama in die Entstehungszeit und suchte zudem nach einer Figur aus dieser Epoche. Die fand er in Sophie Scholl. Und tatsächlich erlag ja Daphne ebenso wie Sophie Scholl kurzzeitig dem jeweils herrschenden Lügen-Kult, Daphne war von Apoll fasziniert, Sophie vom Gemeinschaftsgefühl im Bund deutscher Mädel (BdM). Und beide widersetzten sich bald darauf der männlichen Allmacht, begehrten auf und endeten tragisch. Mehr noch: Daphne wie Sophie liebten das Flötenspiel, beide suchten in der Natur nach Erlösung und zweifelten an vermeintlichen Göttern, die in der Welt so grobe Verbrechen zuließen. Daphne wird zuletzt in einen Baum verwandelt, von Sophie Scholl gibt es einen Brief, in dem sie schreibt, „ein Stücklein einer Baumrinde“ sein zu wollen.
Ja, aber …
Ein anderer Brief der allzu früh gescheiterten Widerständlerin leitet den Bühnenabend nun ein. Was folgt, sind drastische, teils holzschnitthafte Bilder, die allerdings mehr behaupten und etwas wollen sollen, das sich mit stillerer Andeutung vielleicht überzeugender, glaubhafter vermitteln ließe. Daphne ist als Scholl kostümiert, ihre Eltern sind bürgerlich bieder gezeichnet, das Umfeld trägt BdM-Klamotte und Apoll bewegt sich in der fetten Selbstgefälligkeit eines Hermann Göring. Das sind ein paar Holzhammerhiebe zu viel. Die Flugblätter, die einst von der Widerstandsgruppe Weiße Rose verteilt worden sind, werden nun gegen den Dionysos-Kult geworfen, das aus Schäfern und Fischern bestehende Opernvolk wird folgsam wie brave Opferlämmer zur Hinrichtung geführt. Männer in schwarzen Uniformen führen das menschliche Schlachtvieh, das sich zuvor noch selbst bis aufs Unterzeug entkleidet hat, an eine Lagerstatt, die dem Publikum per Riesenspiegel sichtbar wird. Achtung, sagt da der Zeigefinger, wir sind beteiligt. Es geht uns alle an! Ja. Ja, aber…
Daphne ist Sophie Scholl: eine Spur diffiziler hätte es schon ausfallen dürfen (Fotos: M. Creutziger)
Wieso die Nazi-Gefolgschaft des Apoll auch die eben noch in BdM-Uniform steckenden Mädels abführt, bleibt nur eine der offenen Fragen. Dass sich Daphe schlussendlich ins Spiegelbild fügt und in diesem jenseitigen Lebensbaum neben ihrem Gespielen Leukippos zum Liegen kommt, ist leider auch keine Antwort. Aus dem sexistischen Symbol der Baumverwandlung Daphnes wird so immerhin eine humanistische Anklage wider die allgegenwärtige Knechtung des Menschen durch den Menschen. Wenn dieses Opferbild zum Schlussakkord freilich ins Wabern gerät und eher unfreiwillig an Wasserleichen erinnert, bleibt einzig als Trost, dass ein beschauliches Schäferspiel gewiss auch nicht gefallen hätte. Einem Theater mit Inhalt und Aussage gebührt in jedem Fall der Vorzug, nur hätte es eine Spur diffiziler ausfallen dürfen.
Wellber der Retter
Wie ein Pendant zum dürftigen Libretto barg die opulente Partitur einen kostbaren Schatz. Den legte die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Omer Meir Wellber frei, einem Dirigenten, der das Wort Umsicht schier neu definierte. Mit mustergültiger Präsenz zauberte der 1981 in Israel geborene Maestro, der kommendes Jahr Lorin Maazel als Musikdirektor in Valencia ablösen wird, einen farbkräftigen Strauß voller Esprit und fein nuancierter Dynamik. Von dem einstigen Barenboim-Assistenten wird gewiss noch viel zu hören sein.
Die ihm anvertraute Sängerriege war im Titelpart mit einer bravourös ihr Können einsetzenden Camilla Nylund besetzt. Was die aus Finnland stammende Sopranistin in die Waagschalen aus gebrochener Frau und Widerstandsgeist zu werfen hatte, war enorm und wurde heftig goutiert. Ihr ebenbürtig als Möchtegern-Liebhaber Leukippos der tschechische Tenor Ladislav Elgr, der so jugendlich wie frisch auch in leiseren Tönen überzeugte, und als Vater Peneios der vor wenigen Jahren noch zum Semper-Ensemble zählende Georg Zeppenfeld. Dem gelingen sowohl darstellerisch als auch sängerisch fesselnde Szenen. Die alle Konflikte erdende Mutter Gaea wurde von Christa Mayer so makellos wie glaubwürdig mütterlich gegeben, nur der uniform korsettierte Gott Apollo klang beim Amerikaner Robert Dean Smith arg tenoral gepresst und kam mitunter nicht mehr gegen das hervorragend präparierte Orchester an.
Aufführungen: 8., 11., 14., 17. Oktober
© nmz online 6. Oktober 2010