Der Dienstagabend stand beim Festival Tonlagen Hellerau, das noch bis zum Wochenende andauert, ganz im Zeichen des Stuttgarter Ensembles Ascolta und der irischen Komponistin Jennifer Walshe. Die Konzertüberschrift "Ascolta goes popular" war nicht wirklich wörtlich zu nehmen, denn bei Jennifer Walshe stolpert man dann schnell in eine ästhetische Schieflage: sie benutzt die Popkultur als virtuosen Parameter ihrer Performance-Kompositionen.
Was daraus neu entsteht, wird niemand als "populär" bezeichnen, war aber auch offenbar im Vorhinein schwierig zu vermarkten: nur wenige Zuhörer entschlossen sich zum Besuch dieser Darbietung. Walshes Uraufführung für Hellerau "The Church of Frequency and Proteine" wartet mit einem gedanklichen Überbau auf, der mindestens in moderne Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Bereiche von Science-Fiction und Zukunftstheorien vorstößt. Wer sich zufällig mit Memetik schon einmal beschäftigt hat, dem dürfte der Nachvollzug der künstlerischen Betrachtung Walshes etwas leichter gefallen sein. Wer sich in diesem Bereich gar nicht auskannte und auch nicht der Aufforderung nachkam, den Programmhefttext zu studieren, wohnte einer Performance bei, die möglicherweise Kopfschmerzen statt Erleuchtung verursachte.
In der bildenden Kunst haben wir mit Verschachtelungen der Ebenen, Anhäufungen und Diskussionen unterschiedlichster Ästhetiken weniger Probleme – Zeitfluss und Hörkonzentration sind zumeist ausgeblendet. Was Walshe uns hier als Mashup (Neu-Kombination oder Vermischung von Bestehendem) einer Science-Fiction-Story mit Meme-Theorien, Donkey Kong-Videospielen samt Killscreen sowie Klavierstücken, Popsongs und Aktionstheater entgegenschleudert, wirkt in der Summe, als hätte man zwölf Fernsehprogramme gleichzeitig gesehen (was moderne Zapper heutzutage auch durchaus hinbekommen). Eine innere Bewegung blieb jedoch aus, seltsam kalt fühlten sich am Ende diese Stapel von pseudo(?)-philosophischen Formulierungen, Liedern und gehackten Kräutern, die im Publikum verstreut wurden, an. Emotionale Ebenen wirkten oft schematisiert, Stoppuhr und heftiges Skandieren bestimmte den Fortgang.
Zudem gab es eine Disproportion der Musik in diesem Werk: neben wabernden Klängen aus dem Lautsprecher fungierte das Ensemble Ascolta willig und wandlungsfähig lediglich als Instrumentaltheatertruppe – kompositorisch erklang kaum originäre Walshe-Musik, denn wurde zumeist zitiert, collagiert und improvisiert. Angesichts der reinen Reproduktionsfunktion von Memen darf man über den Sinn von an sich feinen und souverän ausgeführten Einzelaktionen (blinde Schlagzeuger, die im Publikum Bilder knipsen) und der Besessenheit, mit der Walshe die Materialien anhäuft, getrost streiten.
Vielleicht hätte der wissenschaftlich gefärbte Blick aus der Zukunft künstlerisch mit etwas weniger Masse und stärkerer Focussierung an Kontur gewonnen. So wirkte auch das vorangestellte Werk "meanwhile, back at the ranch" mit der verblüffend einfachen Konzeption, aus Comicbildern live eine spielbare Musikpartitur zu erzeugen, ungleich erfrischender.
Eine Textfassung des Artikels ist am 15. Oktober in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
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