Frau Schaller, während Sie am „Zigeunerbaron“ proben, findet das eigentliche Theater um die Zukunft der Staatsoperette mal wieder im Rathaus statt. Belastet das nicht die Probenarbeit?
Rita Schaller: Das ist eine starke Belastung für das Ensemble! Ich könnte verstehen, wenn da die Nerven blank liegen, schließlich haben sich die Mitarbeiter des Hauses durch einen deutlichen Lohnverzicht bereiterklärt, einen eigenen Anteil zu leisten. Aber ich habe ausschließlich mit Profis zu tun, die lassen sich nichts anmerken. Durch meinen Mann bin natürlich direkt dran am Geschehen und verliere die Geduld manchmal viel eher als er.
Dresden hatte mal einen Oberbürgermeister, der zumindest ein Faible für die Gattung Operette hatte. Ist derlei Interesse im heutigen OB-Büro noch zu spüren?
Auch Frau Orosz hat sich deutlich zur Operette bekannt. Ich verstehe nicht, wieso alle den Neubau wollen, es aber zu keinem Ergebnis kommt? Das ist undurchschaubar, wieso sich diese Kräfte nicht für ein gemeinsames Ziel bündeln. Wobei ich nicht mal glaube, dass dies ein Dresden-typisches Problem ist, nur dieser Zeitraum und das ewige Hin und Her wäre anderswo ungewöhnlich.
Sie haben berufsbedingt ständig mit Schauspielern zu tun, weckt das nicht Ambitionen, die eigene Bühnenkarriere mal wieder aufzugreifen?
Die Gesellschaft wartet doch nicht auf Frauen meines Alters. Ich habe sehr schöne Rollen gespielt, war sehr glücklich damit, vermisse heute aber nichts. Als Dozentin kann ich viel vermitteln und als Regisseurin bin ich mittendrin im Theater. Ich freue mich auf diese Strauss-Premiere und arbeite gleichzeitig mit dem Theater Seniora an einem Programm, das am 13.11. im TJG herauskommen wird: „Als ich ein kleines Mädchen war“, da geht es um ein Klassentreffen älterer Damen, die Balladen aus ihren Poesiealben zitieren. Und sieben Tage später gibt es im Theaterhaus „Rudi“ mit dem H.O.Theater „Liliom“ von Ferenc Molnár. Nach diesen drei Premieren in nur drei Wochen geht es nach Görlitz, wo ich ein Stück über Marlene Dietrich von Pam Gems inszenieren werde.
Mit Ihren Produktionen am TJG und als Dozentin in Würzburg sprechen Sie den Nachwuchs direkt an. Welchen Eindruck haben Sie vom künstlerischen Interesse, von der kulturellen Bildung der jungen Generation?
Für junge Leute gibt es heute ein riesiges Angebot, da ist es oft schwer, eine Orientierung zu finden. Ich meine, Theater hat die große Aufgabe, Publikum immer wieder neu zu erobern! Wer einmal für sich entdeckt hat, wie unglaublich der Eindruck handgemachter Kunst ist, wer sich vom allabendlichen Kampf der Künstler faszinieren lässt, der hat gewiss etwas gefunden, das er nie wieder missen will. Solch ein elementares Erlebnis ist prägend fürs ganze Leben.
Ich glaube, dass viel getan werden sollte, um andere Werte als nur den Konsum zu vermitteln. Ein Aspekt guter Unterhaltung ist ja auch die Freude, Dinge einfach mal leicht nehmen zu können. Wir Deutschen tun uns da immer so schwer.
Nach einem frischen „Vetter“ nun „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß. Der kam vor 100 Jahren auf Dresdens Opernbühne und gilt als Mischform von Operette und Spieloper. In welche Richtung inszenieren Sie?
Da hat es intensive Gespräche mit den beiden Dramaturgen und dem Chefdirigenten Ernst Theis gegeben. Zu Hilfe kam mir auch das Buch einer amerikanischen Journalistin, die eine Zeit mit Zigeunern zusammengelebt hatte. Filme wie „Schwarzer Kater, weiße Katze“ taten ein Übriges. Wir kamen zu dem Schluss, die Geschichte heutig zu nehmen und sie so zu inszenieren.
Strauß hat dieses Spätwerk mehrfach bearbeitet, welche Fassung nehmen Sie?
Wir haben reichlich Striche und Umstellungen vorgenommen, auch musikalisch. Auf die Bühne kommt also eine eigene Fassung, um die Brüche, die das Stück hat, sichtbar zu machen. Das fängt als Operette an, in die die zupackende Musik einer Zigeunerkapelle einbricht, wechselt zur Romantik einer Komischen Oper, die von einer heute bedrohlich empfundenen Kriegseuphorie überrollt wird. Die Zigeuner mit ihrer eigenständigen und zupackenden Musik nutzen wir quasi als Rattenfänger, haben sogar eine fast originale Banda integriert. Aber mehr möchte ich da noch gar nicht verraten.
Bis auf die ewige Liebe und eventuell das Thema Rückgabe vor Entschädigung sowie den offenkundigen Schwachsinn von Adel und Militär bietet der Stoff nicht sehr viel Ansatz zum Heute, oder?
Das Kriegswerben im Stück könnte so heute nicht durchgehen. Und die euphorische Rückkehr aus dem Krieg kann und will ich angesichts deutscher Soldaten in Afghanistan nicht inszenieren. Aber der Kampf unterschiedlicher Volksgruppen wird von Tag zu Tag aktueller. Die Ereignisse um die Sinti und Roma in Frankreich haben uns während der Proben geradezu überrollt. Die Stärke des Zigeunerbarons aber liegt in seinen unverwechselbaren Figuren, und so hoffe ich, dass für deren Witz trotzdem genug Raum bleibt. Schließlich gibt es ja nicht nur den raffinierten Barinkay, der dann doch nicht clever genug ist, und nicht nur seine Liaison mit Saffi, die weniger aus Liebe denn aus Rache erfolgt, es gibt mit Carnero auch den Inbegriff des bösartigen Beamten und den größten Schweinehund, den gefährlichen Verführer Graf Homonay.
Teilen Sie den Eindruck, dass Operette vorrangig älteres Publikum anspricht? Wie gehen Sie als Regisseurin damit um?
Nein, teile ich nicht. Ich habe viel mit und für junge Leite gearbeitet und bin da nie anders herangegangen. Ich möchte jedes Stück aus sich selbst heraus inszenieren, dann spricht es junges ebenso wie älteres Publikum an.
Gerade die Operette, denke ich, ist für viele Menschen eine gute Chance, ins Musiktheater einzusteigen. Hier wird eine Vielfalt der Mittel geboten, eine packende Opulenz. Bei der Oper ist oft mehr Hintergrundwissen zum Verständnis notwendig. Hier überwiegen Humor und doppeldeutiger Witz.
„Der Zigeunerbaron“: 29.10. (Premiere), 30., 31.10. 15 Uhr, 2., 3., 13., 14.11.2010
www.staatsoperette-dresden.de
Eine Textfassung des Artikels ist am 28. Oktober in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.