Helikon Chefregisseur Dmitrij Bertman inszeniert in seiner Sicht auf die Geschichte der über 300 jährigen Sängerin Emilia Marty, alias Elina Makropulos, als Opfer eines medizinischen Experimentes zwecks Lebensverlängerung bis zur Unsterblichkeit, einen clownesken Totentanz tragikomischer Gestalten. Er dreht sich in der gespenstischen Kulisse eines alten Logentheaters aus den Papieren unzähliger Dokumente von denen eines das Rezept der Lebenstinktur enthält, die nach all den Jahren für die eiskalte Diva dringend vonnöten wäre.
Natalia Zagorinskaja erhält für ihre Leistung als Emilia Marty viel Beifall in Brno. Zeigt sie doch am stärksten im Moskauer Ensemble jenes besondere Maß musikalischer und darstellerischer Facetten. Als kühler Vamp, unnahbare Künstlerin oder als aufgetakelte Kantinenfurie im Renaissancekostüm und letztlich einsam, verlöschend in den Kulissen, vermag sie es, die existenziellen Ambivalenzen des Stückes zu vermitteln. Am Ende quillt aus dem Dekor des brüchigen Theaters eine dicke Träne aus glühendem Blut, Flämmchen zündeln am Papier, das keiner mehr braucht.
Das Orchester der Helikon Oper unter der Leitung von Vladimir Ponkin braucht einige Zeit um zusammen und zu Janacek zu finden. Dann aber überrascht es mit resolutem Zugriff vor allem bei den grellen Passagen der Partitur.
Am nächsten Abend, im großen Janacek-Theater aus sozialistischer Zeit, gleiche Sicht für alle, ungewöhnlich großzügige Beinfreiheit und bequeme Sitze, in denen man fast zu tief versinkt, macht erst einmal das Orchester des Janacek-Theaters unter der Leitung von Jaroslav Kyzlink seinem Namen Ehre. Da sitzt man sofort aufrecht in den Polstern, wenn die Eröffnungsfanfare der beliebten „Sinfonietta“ ertönt und man lehnt sich auch nicht entspannt zurück, wenn das ganze Orchester dazu kommt, die Streicher den melodisch-tänzerischen Passagen der folgenden Sätze Form geben bis zum grandiosen Finale, wenn sich die gebrochenen Klangfiguren der elf Blechbläser auf der Bühne mit denen des Gesamtklanges mischen.
Dazu gibt es einen Teil der wunderbaren Heimweh-Choreografie von Jirí Kylián, die er 1978 für das Nederlands Dans Theater schuf. Zu den anderen Sätzen haben die Videokünstler Tom Rychetský und Pavel Hejný Projektionen tänzerischer Bildsequenzen geschaffen.
Dass selbst in Janaceks Stadt noch Entdeckungen zu machen sind zeigt die Premiere der in Tschechien seltener gespielten, in Deutschland so gut wie unbekannten Oper „Ausflüge des Herrn Broucek“, in der ersten Fassung des Stückes von 1917. Welch wunderbarer, purzelnder Spaß um einen meckernden Spießer, der auf den Mond, in die Zeit der Hussitenkriege und wieder zurück nach Prag zu den Krügen und Würsten führt. Die Engländerin Pamela Howard hat diesen absurden Traum aus redseligem Übermut im blauen Bierdunst einer Winternacht im schiefen Wirtshaus auf dem Berg der Prager Burg mit herzlichem Humor ganz aus der Traumperspektive und den Assoziationen der Klänge sensibel inszeniert. In ihrer Ausstattung muss man das Wirtshaus nur drehen und schon gibt es den Raum im Kunstdesign der 20ger Jahre für Szenen auf dem Mond und im Prag der Hussitenkämpfe.
Fantasie kennt keine Grenzen, die der Träume schon gar nicht. So ist der Pegasus für Brouceks Reisen ein blaues Tandem, in einem tonlosen Orchester mit absurdem Instrumentarium dienen übergroße Sicherheitsnadeln als Geigenbogen und eine Armee, die auf der Stelle tritt, trägt klappernde alte Schreibmaschinen als Waffen. Jaroslav Brezina singt und spielt den Broucek mit dunkel getönter Tenorstimme, gewitztem Unterton und letztlich in allen Traum- und Lebenslagen mit Gelassenheit. Eine besonders erfreuliche Leistung präsentiert der jugendlich-lyrische Tenor Ondrej Saling als Maler Mazal, dazu an seiner Seite die vom Broucek verehrte junge Málinka, wie sie von Adriana Kohútková mit frischem Spiel und ebensolchem Gesang dargestellt wird. Dazu ein großes Ensemble mit Chor und Statisten und vor allem wieder das Orchesters des Janacek Theaters, gerade in den zarten, verschwimmenden Passagen der traumhaften Übergänge, mit Klängen, bei denen man die Augen schließen möchte. Es wäre sträflich, denn hier gehen Bild und Klang immer wieder Allianzen ein in dieser menschlichen Komödie, die uns lachen lässt, bei der aber keiner ausgelacht wird. Das ist ein Traum zum gelungenen Auftakt des Festivals, zu dem in zwei Jahren zur gleichen Zeit wieder eingeladen wird.
Eine Textfassung des Artikels ist am 24.11. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.