Flanierenden Touristen erschien das wie ein verfrühtes Weihnachtsfest: für die Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach in der romantisch beschneiten Frauenkirche gab es bis zuletzt noch Eintrittskarten! Erklären lassen sich die freien Emporenreihen wohl nur damit, dass der Kreuzchor – bekanntermaßen nur einen Schneeballwurf entfernt – den Kantatenreigen dieses Jahr am selben Freitag begann.
Was die Solisten angeht, tauschen sich Frauenkirchen- und Kreuzkantor freundlich aus, scheint es. Christina Elbe hat den Sopranpart in den letzten Jahren hier wie da gesungen; und die klanglich hervorragenden Frauenkirchen-Solisten des Jahrgangs 2010, Britta Schwarz und Gotthold Schwarz, haben das Oratorium ebenfalls bereits mit dem Kreuzchor aufgeführt. Interessant ist dabei immer, wie die Sänger nach meist nur wenigen Proben jeweils miteinander und mit den Ensembles harmonieren, wie sich allmählich eine Gesamtauffassung des Werkes einstellt – oder auch nicht. Die Sopranistin Miriam Meyer und der Tenor Markus Schäfer stachen da – betont überartikuliert die eine, nach anfänglicher Indisposition fast zu kraftvoll der andere – vielleicht etwas ab.
Einen wunderbar stimmigen Eindruck machte dieses Jahr vor allem der Kammerchor der Frauenkirche. Klar und schlank ist der Ton des vor fast sechs Jahren gegründeten Chors. Grünert kann mit kleinen, präzisen Gesten viel abrufen, und die Sänger finden dann von selbst die Balance; Einzeltöne werden nie überakzentuiert, und auch einige "special effects", beispielsweise lauter werdende lange Noten, maßvoll behandelt. Und auch wenn Jörg Fassmanns Geigensoli immer etwas spätromantisch angehaucht sind: das "ensemble frauenkirche" agiert inzwischen ebenfalls flüssig und ohne Sicherheitsnetz im schwierigen Klangraum.
Für Dresdner Kantantenliebhaber wird die Musikauswahl nächstes Jahr im übrigen fast unübersehbar groß: der Veranstaltungsplan der Frauenkirche verrät, dass das inzwischen neben dem Kreuzchor gut etablierte "Grünert-WO" mit allen sechs Kantaten 2011 bereits am 2. Dezember erklingt. Danach teilen sich Ludwig Güttler und – man höre und staune – Christian Thielemann weitere Aufführungen. Dresdens ohnehin reicher Musikszene steht da ein weiterer spannender Hörvergleich ins Haus.
Eine Textfassung des Artikels ist am 13. Dezember in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.