Nicht ganz ausverkauft war das Leipziger Gewandhaus am Donnerstagabend zum "Grossen Concert" – vielleicht lag das ein wenig an einer Gleichung mit drei Unbekannten, die das Programm dem nicht so kundigen Klassikhörer offenbarte. Orchester, Solistin und Dirigent wendeten jedoch ganzes Können auf, um die verborgenen Schönheiten der drei weniger bekannten Werke hervorzulocken. Den festesten Platz im Orchesterrepertoire nimmt dabei wohl die Sinfonie d-Moll von César Franck ein, den man vornehmlich als Orgelkomponisten kennt, aber auch seine Kammermusik ist hochgeschätzt. Des Komponisten einzige Sinfonie atmet durch und durch spätromantische Leidenschaft. Um hier das rechte Leben einzuhauchen bedarf es einer großbögigen Anlage, die Gastdirigent Jiří Bělohlávek, Chef der BBC-Symphony London mit ruhiger Hand und ohne zu starke Emphase wohl zu steuern vermochte. So entstanden kraftvolle, stets kontrollierte Steigerungen und eine sanft pochende Melodieentfaltung im 2. Satz. Vor allem die rührigen Konzertmeister und ein satter Bläsersatz trugen zur durchweg gelungenen Aufführung bei.
Zu Beginn des Konzerts hatte Bělohlávek eine Serenade von Leó Weiner (1885-1960) vorgestellt. Der ungarische Komponist ist kaum im Konzertleben präsent, und aus heutiger Sicht dürfte auch die Musikwissenschaft einig sein, dass er nicht eben deutlich zur Modernisierung der ungarischen Musiksprache beitrug, sondern ein Werk schuf, das heute selbst unter dem Label "Leichte Klassik" kaum eine Renaissance erfahren hat. Um so erfreulicher war die ansprechende Interpretation des Gewandhausorchesters, das das richtige Maß zwischen folkloristisch-musikantischer Darstellung und insbesondere in leisen Passagen elegantem, kammermusikalischem Klang fand.
Der Höhepunkt dieses außergewöhnlichen Konzerts lag in der Mitte – die 31jährige US-amerikanische Geigerin Hilary Hahn ist unbestritten eine der herausragendsten Künstlerinnen unserer Zeit und glänzt nicht nur durch intelligente, reife Darstellungen von bekanntem Repertoire. Viele Werke haben durch ihre Aufmerksamkeit erst wieder zurück in den Konzertsaal gefunden – dazu gehörten in der Vergangenheit etwa Konzerte von Samuel Barber, Louis Spohr und das herausragende Violinkonzert von Arnold Schönberg, an das sich allerdings auch nach ihrer mehrere Jahre umfassenden Beschäftigung mit dem Stück noch kaum ein anderer Geiger herantraut. Hahn sucht immer wieder den lebendigen Dialog mit der Gegenwart – gerade erst ist das von ihr uraufgeführte Violinkonzert von Jennifer Higdon auf CD erschienen.
In Leipzig widmete sie sich erneut einem "Vergessenen" – denn Henri Vieuxtemps wird hierzulande maximal den Geigenstudenten an den Hochschulen ein Begriff sein; nur selten erklingen dessen Werke im Konzert – dabei lobte schon Berlioz die Kunstfertigkeit dieser Stücke. Hilary Hahn stellte vom ersten Takt des 4. Violinkonzertes d-Moll an klar, dass hier kein verstaubtes Salonkonzert des 19. Jahrhunderts auf die Zuhörer wartete, sondern ein komplexes Stück, dessen Herausforderung eher auf der emotionalen Ebene zu finden ist. Die zurückhaltende Melancholie des ersten Satzes gelang (nach einer schönen Orchestereinleitung) der aus stetiger Ruhe heraus formenden Solistin ebenso fantastisch wie die halsbrecherischen Passagen des Finales, dazwischen stand ein luftiges Scherzo und ein Adagio voller sanfter Kantilenen. Mit unglaublicher Flexibilität ihres Geigenklanges und kontinuierlich atmender Agogik formte Hahn ihre Interpretation. Jiří Bělohlávek und das Gewandhausorchester begleiteten Hahn mit großer Spannung, aber ebenso geerdet wie die Solistin und so konnte man ein großes Vergnügen beim Zuhören entwickeln, wie sich hier alle Protagonisten ganz in den Dienst der Musik stellten – ernsthaft und herausragend.
CD-Tipp: Hilary Hahn spielt Tschaikowsky und Higdon
Royal Liverpool Orchestra, Vasily Petrenko, DGG 2011
Foto Hilary Hahn: Peter Miller