Scroll Top

Wir können auch Briefmarkenrezensionen!

"Briefmarkenopern" war das Hochschulkonzert der Komponistenklasse von Prof. Manos Tsangaris betitelt. Kleinstwerke wurden da präsentiert, manchmal nicht mehr als eine fixe Idee. Einige davon überzeugten, indem die Komponisten mit den jeweils zu Gebote stehenden Mitteln ökonomisch haushalteten. Anderes enttäuschte; weil gar zu verschwenderisch verschüttet wurde, wo weniger mehr gewesen oder die angestrebte Nachricht auf drastisch kürzerem Weg zu übermitteln gewesen wäre. 

Viel Hauch um Nichts: Nicolas Kuhn, "Come and go" (Fotos: Judith Storbeck)

Mithin kann das reine Infragestellen von Strukturen, das bloße Anrennen "gegen" und das Torpedieren von Erwartungshaltung, auch den aufgeschlossensten Zuhörer schnell langweilen. Hier müsste einfach mehr kommen: saftiges, rauschhaftes, sinnhaftes, eben: ein neues Ziel, ein neues Glück. Michael Hiemkes "In Liebe, Agnes" war da auf dem richtigen Weg, Peter Motzkus‘ "ARIA" schon erstaunlich reif. Sein "Versuch für Sängerin und smartphone" könnte ein Samenkorn sein für mehr als nur eine ‚Briefmarkenoper‘.

Im folgenden sind Ausschnitte aus sechs eigenständigen Rezensionen von Teilnehmern des Workshops »Musikkritik« am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden abgedruckt. "work in progress" sind auch diese Texte sicherlich; und lassen doch eine ernsthafte, geduldige und gut informierte Auseinandersetzung mit den Werken erkennen. Und wieder einmal werden die Komponisten nicken: sag ich ja, alles ist subjektiv. Ja – und dazu stehen wir Rezensenten auch…

(Martin Morgenstern)

 

Eine Tote beim Kompositionspodium an der HfM Dresden

Entgegen der landläufigen Meinung, moderne Musik sei kopflastig, todernst oder gar langweilig, bekamen die Besucher des Konzerts der Kompositionsklasse von Manos Tsangaris am 14. Januar 2011 kurzweilige Amüsements serviert. Unter dem gemeinsamen Thema Briefmarkenoper versammelten sich szenische Darstellungen, Performances, Installationen und Konzertantes…

Das Publikum als Antagonist. Oder als Protagonist in die Komposition eingebunden, diese Idee hatten wohl die Komponisten des ersten Beitrags Oper ohne Worte, Katharina Vogt und Tobias Schick, als sie das Publikum integrierten und in der Notation festhielten. Man sitzt auf der Bühne, im Mittelpunkt des Geschehens, aus Höflichkeit schaltet man sein Handy ab. Es würde keinen Unterschied machen, wenn bei ARIA aus dem Off ein Nokia-Klingelton erklänge. Im Duett von Peter Motzkus für Frauenstimme und smartphone würde niemand sich wundern und lediglich fragen: „Ist das Kunst?“… Auf dem kürzesten Weg könnte man in die Komposition eingreifen und mitgestalten und diese Option macht die Darstellung so spannend. Dieses „was wäre wenn“ man jetzt aufstünde und einfach mit-musizierte. 

(Meike Theis)

 

"Was wäre, wenn man jetzt einfach aufstünde und mitmusizierte?"

 

Viel Theater um wenig Musik

Prof. Manos Tsangaris macht sich und dem Publikum keine Illusion: „Wer möchte, darf gehen.“ sagt er zu Beginn der Darbietung. Doch die 50 Minuten sind kurzweilig und nicht so neu, dass jemand die Flucht ergreift. Es gibt einen Leitfaden der schon voraus ahnen lässt was einen erwartet. In der Besetzung sind Instrumente wie „Bohrmaschine“ und „Smartphone“ mit aufgeführt und so wird schnell klar: das Hochschulorchester ist diesmal wohl kaum von der Partie.

„ARIA“ hält was der Titel verspricht. Aus den dunklen Zuschauerreihen erglimmt ein rotes Licht und eine Frauenstimme erklingt, die erstmals den Geist von Oper unter das Publikum bringt. Vom iPhone „begleitet“ streicht sie durch die Reihen und die Kombination von ihrer stimmlichen Ausdruckskraft und dem Einsatz aktueller Medien rechtfertigt erstmals den Begriff Neues Musiktheater.

Nachdem mit „zeichen-raum“ wieder eine Inszenierung folgt die die Musik scheinbar völlig aus der kompositorischen Absicht ausblendet, ist das 6. Stück „In Liebe, Agnes“ an Musik endlich reich und an Inhalt fast schon klassisch. Es ist ein Beziehungsdrama bei dem Darsteller, Kostüme und Musik alle Klischees der modernen Oper erfüllen:
Sex, schlimme Wörter, eine Bohrmaschine als Klangerzeuger und eine Waffe zur Konfliktlösung. Die letzte Szene „recycle“ mit verhältnismäßig viel Bühnenausstattung erinnert ein bisschen an 80er Jahre „Theater Fiction“. Der Einsatz von Diktiergeräten wirkt nachdem iPhone eher verstaubt und der Sprechgesang mit Bodypercussion ist zwar gut eingeübt, verfehlt aber den gewünschten Effekt von mechanischer Simultanität.

(Dora Schneider)

 

"Wer möchte, darf gehen…" ("recycle" von Neele Hülcker; Kostümbild von Dennis Ennen)

 

Hier spielt nicht die Musik

“Come an Go”: drei Klarinettisten, die sich abwechselnd, tonlos in ihre Instrumente blasend, durch den “Zuschauerraum” begeben. Der Zuschauer wartet auf ein Ereignis, doch das bleibt aus. Es ist wie ein übertriebenes, melancholisches und zutiefst wehleidiges Gespräch zwischen den drei Instrumenten, dem man nur mit Mühe große Bedeutung beimessen kann.

Dann “versucht”, wie im Programmheft zu lesen ist, eine Sopranistin mithilfe eines Apple Iphone einen Tagebuch- Eintrag, von der Dresdner Malerin Paula Modersohn- Becker, wiederzugeben. Sie sitzt im Publikum und zum ersten Mal kommt ein wenig Spannung und Musik auf, als sie zu singen beginnt…

Der “zeichen-raum” ist der am schwersten begreifbare Beitrag. Ein Mann, mit Folienstift bewaffnet und am Projektor sitzend, macht sich Gedanken über das System und dem was richtig zu sein scheint. “Wir fangen grundsätzlich mit dem “A” an”, heißt es dabei. Dieser Ausspruch bleibt aber, aufgrund der Unschärfe in Ton, Wort und Bild und dem wie ein Staubsauger klingendem Geräusch im Hintergrund, der einzig deutlich Vernehmbare. Sein Projekt wird abrupt durch den Schredder beendet. 

(Ann-Kathrin Kobelt)

 

Briefmarkenironie entzaubert die Kunst?

Die Inszenierung ließ jegliche Dimension der Interpretation offen und pochte regelrecht auf eine individuelle „Briefmarkenpuzzelei“, welche dem Besucher, der übrigens direkt mit auf der Bühne Platz zu nehmen hatte, auferlegt war. Leider schienen wohl übermäßig viele den Weg in den Konzertsaal gefunden zu haben, denn die Anwendung eines solchen Konzepts erschwerte sich für jene, die konventionell vor der Bühne dem Geschehen folgen mussten.

Ein Klavier mit einer auf eine Bohrmaschine gesteckte Polierbürste zu bearbeiten, ist sicherlich nicht gängige Praxis, aber dennoch beschrieb gerade die Briefmarkenoper „In Liebe, Agnes“ den musikalischen Höhepunkt: Eine griffige Klavier- und Schlagzeugbegleitung, affektive Stimmen und ein grandioses Schauspiel schürten eine leidenschaftliche, erotische und mordlüsterne Dramatik.

Das abschließende Stück „recycle“ verbarg einer der inhaltlichen Essenzen, wobei durch den gezielten Einsatz von Tonbandgeräten Satzfetzen zu poststrukturalistischem Gedankengut verknüpft wurde: Alles ist ein großes Kontinuum, das immer und immer wieder aus demselben Arsenal an Textmaterial schöpft. Zudem suggerierten Schauspieler, Sänger und Instrumentalisten im großen semantischen Rahmen mit allerlei bizarren Gebärden und Ausrufen eine weitere klare Botschaft: die Desillusionierung der Künste unter dem Gesichtspunkt einer allgegenwertigen und des Öfteren auch mühsamen Zeichenverarbeitung.

Eine technische Panne, die gut als „Briefmarkenpause“ zu nutzen war, fiel dabei nicht weiter auf. Letztendlich ist offensichtlich, dass Innovation als Konzept per se den künstlerischen Nährwert leicht überwogen hat. Der von Anfang an ironische Umgang mit dem eigenen Produkt scheint dies allemal zu rechtfertigen.

(Alexander Kessler)

 

Oper unerwünscht

Während der eine Teil des musikalischen Elite im Glanz der Semperoper üppig debütiert, geht der andere der Frage nach, wie es steht um den kompositorischen Nachwuchs, der an unseren Hochschulen aufgebaut wird, um die ins Stocken geratene Musikgeschichte fortzuführen…

Eine Einführung, in der die Besucher gebeten werden, bei Nichtgefallen den Saal nur während des Applaus zu verlassen, Satzfetzen aus Diktiergeräten, Bohrmaschinen, die an Klaviersaiten sägen und Klänge aus dem Smartphone – wer der Einladung an die Hochschule für Musik folgte, um den Ergebnissen der Kompositionsklasse von Professor Manos Tsangaris zu lauschen, durfte sich auf einiges gefasst machen.

Dabei klang das Konzept „Briefmarkenopern – Szenische Miniaturen“ zunächst durchaus verheißungsvoll: Eine Reihe kleiner Werke, die knappe, komprimierte Szenen musikalisch intensiv darstellen. Und tatsächlich gab es Momente, in denen man diese Konzept aufgehen sehen konnte. Wenn das Publikum in starker Konzentration auf das Geschehen verharrt und versucht, dass Dargebotene zu durchdringen und dann in einem Moment absoluter Stille sich niemand zu rühren wagt, der Konzertsaal erstarrt bis zum erlösenden Schluss, dann wird einem das Potenzial verdeutlicht, das der zeitgenössischen Musik innewohnt.

Doch dieser Abend war auch exemplarisch für den Zwiespalt, in dem sich die zeitgenössische Tonkunst befindet. Wo auf der einen Seite komplexe und originelle musikalische Ideen dem Publikum überzeugend vermittelt wurden, waren andere repräsentative Anwärter für die üblichen Standarddiskussionen nach solcherlei Aufführungen…

Konzeptionen, in denen die Rollen von Publikum und Orchester vertauscht werden, mögen ihren Unterhaltungswert haben, aber sie sind weder originell noch musikalisch. Von diesen immer wiederkehrenden Plattitüden gelangweilt, ist es kein Wunder, dass der Graben zwischen Komponist und Publikum weiterhin wächst.

Angesichts dessen ist auch die Übertitelung des Abends kritisch zu überdenken. Warum beruft man sich auf den archaischen und bedeutungsschweren Begriff der Oper, wenn die dargebotenen Werke mit der Definition der Gattung nichts mehr gemein haben, ja diese durch die inhaltliche Konzeption selbst in Frage gestellt oder gar abgelehnt wird? Es wäre konsequenter und ehrlicher, wenn diese geschlagene Brücke in die Vergangenheit endgültig abgerissen würde und sich die zeitgenössische Musik nicht mehr hinter vermeintlich Fels gewordenen Begriffen der Musikgeschichte versteckte.

Denn wem die Hoffnung kam, an diesem Abend Dresdens neue Sträusse und Weber hören zu können, wurde enttäuscht. So ambitioniert das ein oder andere Stück auch daherkam, drängt sich einem die Frage auf, wie dieses außerhalb des behüteten Rahmen der Hochschule sich behaupten soll. Nachhaltigkeit war überwiegend nicht zu registrieren. Stattdessen offenbarte sich der reichhaltige Fundus eines bizarren Kunstlabors, dass von der Intention her spannend, aber in Bezug auf die zu erzielende kompositorische Ausbildung der Studenten perspektivlos daherkam.

Ungemein deutlich wurde dies im Beitrag des ältesten Studenten (Jahrgang ´80), Christian Rheber, der begriffen haben dürfte, dass mit derlei Experimenten man allenfalls am Tropf der zahlreichen staatlich subventionierten Musikpreise und somit am Wohl und Wehe ihrer Vergeber hängt, aber kaum Geld zu verdienen ist. So zeigte präsentierte er ein gesangloses Schauspiel, das im Hintergrund von orchestral anmutenden, amateurhaft programmierten Sampleklängen aus dem Computer begleitet wurde. Die Brot verdienende Zukunft heutiger Komponisten liegt nicht mehr auf den Bühnen der Konzertsäle und Opernhäuser, sondern in den Produktionsstudios der Film- und Computerspielmusikindustrie.

So bleibt zum Schluss eine Frage aus dem Programmheft des Abends zu zitieren: „Ist das Musiktheater? Noch nicht unbedingt, aber vielleicht kann ja eines daraus werden…“. Dieses Konzert stimmte da alles andere als zuversichtlich.

(Carlos Lozano Fernandez)

 

Sieben auf einen Streich

"Vielleicht kann ja noch Musiktheater draus werden" (Christian Rheber, "Ausschnitt")

Das Programm bestand aus kurzen szenischen Miniaturen und begann mit einem Dirigenten, der vor zwei Musikern auf der Bühne stand (“Oper ohne Worte” von Katharina Vogt und Tobias E. Schick). Nach einem “Stromausfall” befestigte er sich eine Leselampe am Kopf, drehte sein Notenpult zu den Zuschauern und stimmte schließlich ein “unsichtbares” Orchester an. Dieses reagierte prompt mit rhythmischem Klicken von Kugelschreibern oder Rascheln von Papier. Untermalt wurde dieser Rhythmus von einem schrillen Klangteppich durch verschiedene Instrumente.

Die Kurzoper “In Liebe, Agnes” (von Michael Hiemke) im Sinne eines kleinen Kriminalstücks, setzte schließlich den Verrücktheiten die Krone auf und markierte gleichzeitig (in Tateinheit mit “zeichen-raum” von Martin Baumgärtel) den künstlerischen Tiefpunkt des Nachmittags. Nicht nur, dass die Handlung jede Fernseh-Seifenoper um Längen übertrifft (Eine rachsüchtige Ehefrau kommt hinter die Affäre ihres Mannes mit einer Prostituierten und will diese mit einer Pistole umbringen, doch plötzlich wendet sich das Blatt und die Prostituierte erschießt die Frau), auch die verbalen Äußerungen in den dramatischen Gesangspassagen, lassen jeden Ausdruck einer Sendung im Vormittagsprogramm eines Privatsenders erblassen. Schade, denn dadurch schien das Niveau rapide abzusinken, obwohl im Laufe des Nachmittags auch durchaus ernstere Themen wie Tod und Individualitätsverlust abgehandelt werden.

Einen überraschenden Lichtblick des Programms bietet hingegen die Komposition “ARIA” von Peter Motzkus. Gefühlvoll und darstellerisch überzeugend spielt Gesangsstudentin Maria Meckel eine zerbrechliche Frau, die scheinbar träumerisch ihre letzte Ruhestätte besingt und schafft es beim Zuhörer den einen oder anderen Moment der Gänsehaut hervorzurufen. Nur ein Smartphone spendet ihr Licht und begleitet sie musikalisch.

Das Premierenpublikum, überwiegend Studenten, spendete entsprechend der Briefmarkenopern “Briefmarkenapplaus”. Einzelnen Darstellern gelang es weder gesanglich noch schauspielerisch sich von anderen abzuheben. Gleiches gilt für die Komponisten, die zwar mit ihrer Musik interessante Momente geschaffen, aber keine bleibenden Eindrücke hinterlassen haben.

(Yves Flade)