„Die Szene ist reizend, wird sich komponieren wie Öl und Butterschmalz, ich brüte schon, Sie sind da Ponte und Scribe in einer Person..“, so Richard Strauss in einem Brief vom 21. April 1909 an den Österreichischen Dichter Hugo von Hofmannsthal. Er hatte damit begonnen den Text zur Oper „Der Rosenkavalier“ zu schreiben und zwei Tag zuvor an Strauss die erste Szene geschickt. Da lag die Dresdner Uraufführung der ersten gemeinsamen Oper „Elektra“, am 25. Januar, noch nicht ganze drei Monate zurück, vier weitere gemeinsame Werke sollten folgen. Dresden, die akustischen Vorzüge des zweiten Semperschen Opernhauses, vor allem die des Orchesters mit seinem Dirigenten Ernst von Schuch, als Ort bevorzugter Voraussetzungen seiner Uraufführungen, kannte Strauss seit 1901 als hier seine „Feuersnot“ zum ersten Mal gegeben wurde.
Mit „Salome“ – Hedwig Lachmann hatte eine dramatische Dichtung von Oscar Wilde zum Libretto bearbeitet – begann am 9. Dezember 1905 eine einzigartige Erfolgsserie. Spätestens jetzt war Strauss bewusst, wie wichtig es ist einen guten Text zu haben, mit einem Dichter zusammen zu arbeiten, der es vermag jedem Sujet individuelle Sprachform zu geben und mit dem jeweiligen Charakterklang der Sprache einer Person dem Komponisten den Klang dazu gewissermaßen zu entlocken. Das war der Fall bei Hugo von Hofmannsthal. Die weiteren gemeinsamen Werke „Ariande auf Naxos“, Die Frau ohne Schatten“, „Die ägyptische Helena“ und „Arabella“ belegen dies. Der Glanz des Dresdner „Rosenkavaliers“ aber überstrahlt sie alle seit der Uraufführung vor 100 Jahren, am 11. Januar.
Bis dahin war noch ein künstlerischer Weg zu gehen, dessen Stationen und Umwege der Briefwechsel zwischen dem Komponisten und dem Dichter in spannenden Zeugnissen konstruktiver Partnerschaft belegt. Dass der Dichter zudem die Arbeit im Austausch mit dem Weimarer Künstlerfreund Harry Graf Kessler kommentierte, dessen Erwiderungen und Anregungen ihren Niederschlag in der endgültigen Dichtung fanden, macht diesen Prozess besonderes gut nachvollziehbar. Hofmannsthal erscheint Kesslers Anteil an der Geschichte dieses Erfolges so wesentlich, dass er ihn als „verborgenen Helfer“ in der Widmung wird als „Mitarbeiter“ benennt.
Bevor aber für Strauss und Hofmannsthal die eigentliche Arbeit begann, ging es darum jenen Stoff zu finden, der beider Inspirationen beflügelte und vor allem dem Wunsch entsprach, sich auf gänzlich anderem künstlerischen Terrain zu bewegen als in der hochdramatischen, blutgetränkten Rachetragödie „Elektra“ mit ihrer archaischen Wucht in einem Akt.
Dass es dann so gänzlich anders mit dem „Rosenkavalier“ weiter gehen sollte, dass der Komponist nach etlichen Vorschlägen und Vorstellungen, bei denen durchaus auch wieder tragisch-dramatische Stoffe im Spiel waren, sofort Feuer und Flamme war, als der Dichter ihm, am 11. Februar 1909, vom Plan einer heiteren Spieloper berichtet, hat nicht geringe Verwunderung hervorgerufen. Der Vorwurf der Nostalgie, der Verklärung einer Welt von gestern, denn das „zugleich echte und erfundene“ Werk kommt drei Jahre vor Beginn des ersten Weltkrieges heraus und spielt zu Zeiten Maria Theresias Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien. Musikalisch will man immer wieder hier die radikale Abwendung von der Moderne erkennen, denn zur gleichen Zeit erscheinen die Werke von Bartok, Schönberg oder Strawinsky.
Aber bei genauem Hinsehen und Hinhören ist „Der Rosenkavalier“ ja keine historische Komödie sondern ein ziemlich gnadenloses Zeitbild einer Gesellschaft, die sich wie der verwendete populäre Walzer, den es im 18. Jahrhundert noch gar nicht gab, in narzisstischem Taumel um sich selbst dreht. Um eben jener zeitlosen Zeit das verwirrend echte Kolorit zu geben hat Hofmannsthal sich genau informiert, in der Komödie mit Ballett „Der Herr aus der Provinz“ von Moliere, im Roman „Die Abenteuer des Chevalier Faublas“ des Jean-Baptiste Louvet de Couvray. Die Namen Lerchenau, Werdenberg und Faninal fand er in den Tagebüchern eines kaiserlichen Oberhofmeisters, geschrieben von 1742 bis 1749. Die silberne Rose hingegen, die Überreichung derselben zu Beginn des zweiten Aktes durch den Rosenkavalier Octavian als Brautwerbung des Baron Ochs, einer Vollblutfigur der Opernbühne wie Verdis Falstaff, ist seine eine Erfindung. Und mit der Musik von Richard Strauss dann im Duett der zwei Soprane ist sie zu schön um wahr zu sein.
Vielleicht begründet sich der Erfolg des Werkes auch darin, dass es um Abschiede geht, um die Erkenntnis der rechten Zeit, um Chancen, die es anzunehmen oder auszuschlagen gilt. Das Urteil darüber, wie wir das „Luder“, den Ochs zu sehen haben, „ein gemeiner Kerl, ein Ausnützer, mit einer Art von Welterkenntnis, dazu ein Schmutzfink, ein Filz – aber gar nicht ohne Kraft, nicht ohne Humor“, wie ihn sein Dichter beschreibt, bleibt dem Publikum überlassen, wie in jeder guten Komödie, die uns über das was Angst macht lachen lässt. Und Abschied heißt im Falle der Marschallin, sie nach des Dichters Willen nicht als resignierte alte Frau darzustellen, die sich nach verflogenem Abenteuer mit einem nach heutiger Gesetzeslage minderjährigem Grafen lediglich religiös und sozial betätigen wird. „Jedes Ding hat seine Zeit.“
In dieser „Komödie für Musik“ geht es um Abschiede „fürs Leben“, nicht vom Leben, „mit einem nassen und einem trockenen Auge“. Und damit ist dieses Erfolgswerk des 20. Jahrhunderts neben der musikalischen Herausforderung auch eine an die Regisseure und Ausstatter. Maßstäbe, über die man sich nicht ungestraft hinweg setz, bilden die Entwürfe von Alfred Roller, deren mögliche Vorlagen sich bei den Szenen in William Hogarths Zeichnungen, insbesondere im „Lever“ aus „Die Hochzeit nach der Mode“ finden lassen. Rollers Figurinen, der Ausdruck ihrer Gesichter, Haltungen und Gestik sagen viel aus über die dramatischen Vorgaben seitens der Musik und der Dichtung.
Rollers Ausstattung für die Dresdner Uraufführung war Bedingung für Strauss und Hofmannsthal. Über den ersten Darsteller des Ochs, Carl Perron, war man nicht glücklich und der Dresdner Hausregisseur wurde durch Max Reinhardt ersetzt. Er gilt als Regisseur der Uraufführung, auch wenn es ihm zunächst nicht gestattet war, sich während der Proben einzumischen oder die Bühne zu betreten. Er nutzte die Pausen, sprach mit den Sängern und dann musste legitimiert werden was längst Tatsache war. Das war ein Glücksfall, wie Hofmannstahl noch am 17. Januar schreibt: „Wie traurig waren wir gestern Vormittag auf den ersten kläglichen Proben, wie hilflos und traurig. Strauss tut mir so leid, der große starke grobe und halb überfeinerte Mensch, wie er dem Weinen so nahe war. Hätten wir nicht Max Reinhardt hier, es wäre zum Verzweifeln.“ Zumal Strauss schon gedroht hatte, gar nicht zur Uraufführung nach Dresden zu kommen, wo sich der Intendant des Dresdner Hoftheaters Graf Nikolaus von Seebach bereits im Vorfeld an einigen anstößigen Stellen störte.
Man einigte sich auf eine bereinigte Fassung für den „Hoftheatergebrauch“. Hofmannsthal gibt Strauss darauf wieder mit den Worten, „bei einem guten Werk muss man gefasst sein, daß zunächst kaum ein Viertel von den Intentionen der Autoren herauskommt, aber das Werk muss stark genug sein, um auch mit diesem Viertel zu wirken.“ Keine Frage, dieses „Viertel“, und wahrscheinlich eine ganze Menge mehr, hat am 26. Januar 1911 ausgereicht, um von Dresden aus ein silberzartes und derb-kräftig sinnliches Spiel aus Klang und Zeit, aus Geben und Nehmen, Gewinn und Verzicht nun schon 100 Jahre lang erfolgreich um die Welt zu schicken. Und besser noch, Menschen aus aller Welt hierher, in den nunmehr dritten Semperbau mit dem Atem der Uraufführungsaura, zu locken.
Eine Textfassung des Artikels ist am 27. Januar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.