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Wahre Leidenschaft in Leuben

Die "dunkelste, deprimierendste Show seiner Karriere" nannte der TIME-Kritiker William A. Henry III Stephen Sondheims Broadway-Musical »Passion« – und in gleichem Atemzug "das einzige denkwürdige Musical der Spielzeit". Sechzehn Jahre nach seiner Uraufführung ist das Werk nun an der Staatsoperette zu sehen.

Für das Leubener Operetten-Publikum, könnte man meinen, ist die Inszenierung von Holger Hauer erst einmal ein Affront. Nicht nur, weil der Regisseur, wie übrigens in der amerikanischen Urfassung auch, mit verklemmten Halbheiten gleich zu Beginn Schluss macht und die Protagonisten so zeigt, wie sie nun mal beim Liebesakt sind: nackt. Sondern weil sich das Stück einfachen Erklärungsmustern und heimeliger Kettenkarussellseligkeit verweigert. 

Vasiliki Roussi spielt die "Fosca" mit beängstigender Direktheit; ihr nimmt man jeden Ton, jedes Wort ab (Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert)

»Passion« ist eben kein einfacher Stoff: der junge Leutnant Giorgio (Marcus Günzel) eröffnet seiner verführerisch-ehebrecherischen Clara (Maike Switzer) in ihrem Liebesnest, dass er versetzt wird. Man schwört, sich fortan zu schreiben. Am neuen Dienstort verfällt Giorgio jedoch mehr und mehr der gebrechlichen, abgezehrten Fosca (Vasiliki Roussi); nach einem Duell, in dem er seinen Vorgesetzten tödlich verwundet, erleidet er einen Nervenzusammenbruch. Dass Fosca gestorben ist, erfährt er später im Sanatorium; und von Clara hat er wohl niemals echte Liebe zu erwarten…

Nie war das Genre des Briefromans so packend (Maike Switzer, "Clara")

Das alles wird von dem Librettisten James Lapine in einer Mischung aus Briefroman und kurzen, schlaglichtartigen Szenen ergreifend und verschachtelt erzählt. Stephen Sondheims Musik vermag zwar, die oft simultan ablaufenden Erzählstränge und schnellen Wortwechsel geschickt zu verweben, bietet aber stilistisch wenig anregendes. Den neunziger Jahren verhaftet bleibt die Ramazotti-Romantik der Partitur. Nein, die Zukunft des Musicals müssen wir anderswo suchen, da kann das Orchester der Staatsoperette sich unter Peter Christian Feigel noch so leidenschaftlich geben.

Was »Passion« trägt und den Abend zu einem ergreifenden Ereignis macht, dem das Publikum knapp zwei Stunden lang atemlos lauscht, ist die unerbittliche Prägnanz, mit der Lapine seine Protagonisten zeichnet und Stück für Stück dem Verderben anheimgibt. Kein Rotlicht-Cancan muntert zwischendurch bräsige Schnurrbärte auf, kein Walzer keck wirbelnder Marineoffiziere rettet in den Wienerwald, kein wild getanzter Csardas lockt ins Ungarnland: der Ballettdirektor Winfried Schneider hat Pause. Christoph Weyers hat die Handlung auf eine fast leere Drehbühne gestellt, bei der Vorhänge, Jalousien und wenige Möbel ein stetiges Gefühl von Ort-, ja Heimatlosigkeit vermitteln. Die Kostüme erinnern dagegen noch an frühere Biederkeit. Rote, mit Klettverschluss zu öffnende Uniformen zum Beispiel erinnern eher an "Nussknacker und Mausekönig" und wirken vor der schlichten Bühne etwas zu einfältig.

Ein richtiges Ärgernis dagegen, das so manches Mal ungewollt die traumhafte Stimmung erdet, ist der gespreizte Sprechduktus mancher Sänger. Ja, wo laufen die denn, fragte man sich, wenn da Herbert G. Adami oder Hans-Jürgen Wiese in bestem Fledermaus-Brustton klangstark räsonierend ihre Repliken drechseln. Marcus Günzel ist dagegen mit dem Klippencharakter seines Giorgio schauspielerisch gefordert; wie seine stetig wachsende Abneigung gegen Fosca auf einmal in jämmerliche, kompromißlose Liebe kippt, wird für das Publikum nicht schlüssig. Hier bräuchte es Vollblutschauspieler mit Gesangstalent, weniger Sänger mit Bühnenerfahrung. Trotzdem – ein Schritt, nein, ein Quantensprung in die Zukunft ist dieses Werk für das gesamte Leubener Ensemble. Es wird wirklich Zeit, dass das Kraftwerk fertig wird. 

Die Sänger tragen Microports, und müssten eigentlich nicht ständig im selbstgefälligen Brustton salbadern. In dieser Hinsicht ist die psychologische Tiefe von »Passion« die größte Herausforderung für das Ensemble des Hauses.

 

»Passion«

Musik und Liedtexte von Stephen Sondheim
Buch von James Lapine
Deutsch von Roman Hinze
Musikalische Leitung: Peter Christian Feigel
Regie: Holger Hauer

Termine: 11., 12., 13. Februar; 3., 4. März; 19., 20. Mai; 23., 24. Juni 2011
www.staatsoperette-dresden.de