Das Theater Meißen ist mit seinen 160 Jahren gerade mal doppelt so alt wie der Gast, der am Freitag für ein ausverkauftes Haus sorgte: Armin Mueller-Stahl, eben noch überraschender Publikumsliebling zum alljährlichen erbetenen Neffenbesuch beim Dresdner Opernball, kurz darauf für sein Lebenswerk mit der Goldenen Kamera geehrt und in wenigen Tagen Träger des Goldenen Ehrenbären der Berliner Berlinale – dieser Armin Mueller-Stahl tourt mit seinen 80 Jahren derzeit durch die Lande, um sein CD-Debüt „es gibt tage …“ vorzustellen.
Durch die Lande? Das ist relativ. Der 1931 im damals ostpreußischen Tilsit geborene Künstler, der 1979 aus einstigem Mauerland ausbrach und eine Weltkarriere als Schauspieler startete, er gastiert jetzt nur in den seit mehr als zwanzig Jahren so genannten Neuen Bundesländern und natürlich in Berlin. Dort wurde er erwachsen, studierte Violine, Musikwissenschaften und die berühmte „Berliner Schnauze“, dort feierte er bei der DEFA die ersten großen Erfolge. Fortsetzungen folgten – unter anderem in Hollywood.
Mueller-Stahl, der sich ursprünglich am Geiger David Oistrach orientierte, ist neben den Schauspielkünsten längst auch als bildender Künstler sowie als Autor etabliert. Sein aktuelles und vergleichsweise spätes Debüt als Liedermacher und Sänger hat eine lange Vorgeschichte. Denn was er jetzt für CD und Tournee zusammengetragen hat, das verfasste er vor gut 45 Jahren selbst! Verträumte Poesie in Musik und Text, die der Mittdreißiger von einst metaphernreich vor- und heute so aktuell wie damals nachempfunden hat. Da sind natürlich die Anspielungen auf den Staat, dem die Menschen so wichtig waren, dass viele von ihnen rund um die Uhr belauscht und beobachtet worden sind. Von Menschen mit großen Augen, Ohren und Mündern wird so gesungen, dass es noch heute – oder heute erst recht? – beklemmend erheitert. Da gibt es Fabel-hafte Ausflüge ins Tierreich, weil die so umschriebenen Personen den ihnen vorgehaltenen Spiegel sonst wohl zerschmettert hätten, es gibt aber auch Liebeslyrik und scheinbaren Nonsens. Der Klassiker von der blauen Kuh etwa, von der nix bleibt als ein blauer Fleck. Und weg. Allesamt so behutsam notiert wie vorgetragen. Ein Abend leiser Töne also – und einer der großen Hüte!
Armin Mueller-Stahl trat gemeinsam mit seinem Freund und langjährigen Weggefährten Günther Fischer auf, der an Klavier und Saxofon begleitete. Am Akkordeon präludierte und persiflierte Tobias Morgenstern dazu (der „Elsbeth“ mit Beethovens „Für Elise“ ausklingen ließ) und am Kontrabass sowie auf der Tuba bereicherte Tom Götze die so erfolgreich wie still wider den allzu lauten Zeitgeist rudernde Truppe. Alle vier Herren nobel im Anzug, schwarz mit großkrempigem Hut. Schon das Erscheinungsbild zeugte sehr selbstbewusst von Anspruch und Stil, von erfülltem Anspruch und Stil.
Gewiss, Armin Mueller-Stahl hat so ziemlich alles erreicht in seinem langen Leben. Allein, ein Sänger ist er nicht. Das Wissen um die eigenen Talente aber macht einen großen Künstler aus – und Armin Mueller-Stahl ist in der Tat ein großer, ja, ein überragender Vortragskünstler. Sensibel sind die alten Lieder gesetzt, stecken voller Originalität in Worten und Wirken, sensibel werden sie wie neues Liedgut aufgeführt. Wenn von den Hüten gesungen wird, die sich neue, bessere Köpfe suchen wollten, vor allem keine, die bereit sind, unterm Stahlhelm zu schrumpfen, dann weiß man, wer damals gemeint war und wer da heute etwas genauer hinhören und mal gründlich grübeln sollte. Wie das so ist mit dem Nachdenken, es erreicht oft nur jene, die sich ohnehin einig sind. Da können dann auch solche Tage besungen werden, an denen der Autor, „so unversöhnt“, sich „am liebsten die Menschen abgewöhnt“ hätte. Ganz deutlich wird er in seinem Vietnam-Lied, das allgegenwärtiges Leid imperialer Krieger sehr persönlich, sehr ergreifend beschreibt.
Müller-Stahl ist selbst noch als Musiker wandelbar vielseitig. Mal Schelm, mal Magier, hier ein Ausflug zum Primas, da seine Kult-Szene mit zwei Flöten aus Jim Jarmuschs „Night On Earth“, schließlich die Bitte an Fischer, das Konzert mit dem Ohrwurm aus „Solo Sunny“ zu runden. Bescheiden war der Abend als „öffentliche Probe“ angekündigt. Nicht ganz zu Unrecht zwar, denn manches schien noch recht spontan, aber dennoch herrlich tiefgestapelt. Das Publikum in Meißen war vom Quartett der schwarzen Herren begeistert, Armin Mueller-Stahl hat sie alle, alle erreicht.
Eine Textfassung des Artikels ist am 14. Februar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.