Vorweg: Franz Liszt wäre über die reichhaltigen Geschenke aus Dresden hocherfreut gewesen. Bereits 1873 war der Meister schon zum "Ehrenmitglied auf Lebenszeit" des Tonkünstlervereines der Hofkapelle ernannt worden, hatte mehrfach in Dresden gastiert und auch die Dante-Symphonie zur Uraufführung gebracht. Mit Richard Wagner war er überdies familiär wie künstlerisch verbunden. Und über allem schwebte Goethes "Faust" als vielfältige Inspirationsquelle, der auch Gounod, Berlioz und Schumann umtrieb. Grund genug für die Staatskapelle Dresden, Liszt, Wagner und Goethe in einem Würdigungskonzert zum 200. Geburtstag von Franz Liszt zu vereinen.
In besten Händen: Liszts Faust-Sinfonie geriet unter Christian Thielemann zu einem Wunderwerk der Orchesterfarben
Ein weiteres "Geschenk" für den Jubilar: Mit dem künftigen Chefdirigenten der Staatskapelle Christian Thielemann widmete sich ein enthusiastischer Interpret den beiden Werken in einer Weise, als ob die Herren daselbst in der Loge erschienen wären. Da wirft das Wagner-Jahr 2013 schon seine Schatten voraus, und Thielemann freut sich, nun auch die "Faust-Ouvertüre" in sein Repertoire aufgenommen zu haben. Im nahezu ausverkauften Semperbau zeigte Thielemann nicht etwa ein Gelegenheitswerk, sondern arbeitete vor allem an den wechselvollen, intensiven Emotionen dieses Werkes, ganz im Sinne der gestochen scharfen Perspektive auf den Faust-Charakter. Dass dabei ein fast modernes, zum Teil fahl schimmerndes Orchesterstück herauskam, wundert kaum – die Kapelle folgte Thielemanns flexiblen Tempi so exzellent, dass jeder noch so kleine Vorhalt sprachähnlich ausgedeutet erschien.
Im Zentrum des Konzertes stand dann die Faust-Sinfonie von Franz Liszt; was Wagner dann doch nicht als vollständiges Faust-Projekt realisierte, komponierte Liszt 1854 in Weimar als sein umfangreichstes, sinfonisches Hauptwerk, dabei vermengte er auf ihm eigene Weise die sinfonische Dichtung mit der Sinfonie und schuf in den Sätzen drei Charakterbilder von Faust, Gretchen und Mephisto. Höchst interessant war im 1. Satz zu bemerken, wie Liszt eng verwandte Ausdruckswelten zu Wagners kompositorischer Lösung findet und doch auf eigene Weise fortspinnt. Bei aller Wertschätzung – die Faust-Sinfonie hat ihre Längen und manche Themen oder harmonischen Fortschreitungen breitet uns Liszt auch gerne doppelt und dreifach aus. Für Thielemann jedoch liegt genau dort eine Stärke der Partitur: da geht er mit den Musikern in die Tiefe, addiert zu einem seitenlangen Orgelpunkt der Kontrabässe zauberhafte Farben in den Bläsern und kümmert sich fast liebevoll um Linien in den Nebeninstrumenten oder einen abwartenden Hornruf. So erschließen sich die großen Bögen dieser Musik eben nicht durch lautstarkes Tutti, sondern durch viele solistische, kammermusikalische Bilder, die klanglich von allen Musikern superb ausgestaltet wurden.
Besonders innig geriet so der zweite Satz, während Thielemann den dritten weniger als plauderhaftes Scherzo denn als rasanten Teufelsspuk auffaßte. So konnte das Finale des "Chorus Mysticus" (mit bestens aufgelegtem Männerchor der Staatsoper und dem strahlkräftigen Tenor Endrik Wottrich) nur als konsequente Beruhigung, als breit und groß angelegte Feierlichkeit wirken. Diese intensive, hochklassige Würdigung des Jubilars löste sehr heftigen Beifall aus. Beim Dresdner Publikum ist Christian Thielemann längst angekommen und dieses ist erst recht bei einem gar nicht so häufig aufgeführten Werk wie der Faust-Sinfonie begeisterungsfähig, wenn man wie Thielemann sein ganzes Können hineinlegt.
Eine Textfassung des Artikels ist am 22. Februar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Foto: Matthias Creutziger