Erst mal Video. Egal wie. Das soll wohl eine wilde Party im neuen Rom sein, weil es in Claudio Monteverdis Oper „Die Krönung der Poppea“ um die sprichwörtlichen Zustände zur Zeit des Kaisers Nero im alten Rom geht. Also das Wackelvideo in einem Kellergewölbe mit dem Personal des Freiberger Theaters zeigt brave Partystimmung und offenbar auch wie einem der Gäste seine Frau ausgespannt wird. Dann geht’s los, und mit der Musik von Monteverdi geht das alles auch viel, viel besser. Vor allem so wie sie von den Mitgliedern der Mittelsächsischen Philharmonie unter der Leitung von Jan Michael Horstmann dargeboten wird. Er hat auch „seine“ Fassung erstellt und sich dabei auf die Möglichkeiten seines Ensembles einstellen müssen. Außer Gesangsstimme, Basslinie und einigen wenigen gesetzten Passagen ist nichts vorhanden vom letzten Meisterwerk Monteverdis, das kurz vor seinem Tod 1642 in Venedig uraufgeführt wurde, in Deutschland erstmals 1954 in Köln auf die Bühne kam.
Horstmann kann sich in Freiberg auf eine so präsente wie dynamisch agierende Continuogruppe mit Chitarrone, Erzlaute und Barockgitarre, Harfe, Cello, Kontrabass und Barockposaune verlassen. Dazu gelingt mit Streichern nach anfänglichen Irritationen und Bläsern jener zupackende Gestus, der Schärfen einplant und die Saiten schon mal kräftig anreißt. Die Vorliebe des Dirigenten für Raumwirkungen setzt sich durch beim Einsatz eines Fernorchesters und Chorstimmen, die aus anderen Räumen, oder besser Welten, kommen. So entsprechen sich musikalische Gestaltung und die Ideen des Regisseurs Holger Pototzki auf der Bühne von Jens Büttner.
Die Geschichte des heimkehrenden Ottone, dessen Gattin Poppea zum Kaiser Nero übergelaufen ist, inszeniert er als Eifersuchtstraum eines naiven Gehörnten. Der trägt nicht nur einen roten Anzug, er sieht auch fortwährend rot und ist umgeben von glühendem Rot eines Angstraumes mit durchlässigen Wänden. Kein Platz für sein weißes Puppenheim, das er eigenhändig zerstört. Der rote Otto, den Guido Kunze auch gesanglich zur Hauptfigur des Stückes macht, bekommt scheinbar einfach nicht mit, dass der Streit des Prologs zwischen Fortuna, Virtù und Amore längst zugunsten von Liebe und vor allem Macht entschieden ist. Das wendige Püppchen Poppea hat den Zug der Zeiten erkannt. Der smarte Nero in Weiß passt besser zu ihr, und sie scheinbar besser zu ihm als die räsonierende, hochstöckelnde, verstoßene Gattin Ottavia (Zsuzsanna Kakuk) mit blutigen Rachegelüsten. Das ist die Hölle voller Narren. Da ist auch Platz für einen Philosophen namens Seneca (Juhapekka Sainio), der zum Narren geworden ist, einem verliebten Mauerblümchen namens Drusilla (Susanne Engelhardt), die für den angebeteten Otto sogar in dessen Haut schlüpfen würde. Dazu ziemlich höllische Typen in mancherlei Gestalt, Mannweiber als Soldaten, Totenvögel, Rachegeier, Ammen, Narren und eben all die feinen oder nicht so feinen Mitglieder dieser zeitlosen römischen Sippe.
Hier changiert der Tenor Jens Winkelmann neben Rita Zaworka und Klaus Kühl nicht nur in der Darstellung, er wechselt auch geschickt von sehr hohen Registern in recht tiefe Lagen.
Barockspezialisten sind hier nicht am Werk. Das sind die Sängerinnen und Sänger, die morgen in der Operette, dann im Musical und tags darauf in der romantischen Oper zu hören und zu sehen sind. Und doch überzeugt am Ende das Ensemble mit allen seinen Tönen, denen die gelungen sind und ob ihrer einschmeichelnden Schönheit lange im Ohr bleiben, wie das abschließende Duett der Sopranistinnen Miriam Sabba und Lilia Milek als Poppea und Nerone, ebenso wie denen, die eher Konzepten als der Gesangskunst verpflichtet sind.
Bei der Regie überzeugt letztlich auch das Konzept stärker als die Realisierung. Etwas holprig wechseln die Traumsequenzen, die Travestien bleiben im Klischee und etliche der Freiberger Sängerinnen und Sänger, Engelhardt, Zaworka oder Kühl, machen was sie immer machen, sie chargieren.
Das Gesamtbild der Inszenierung vermag nicht gänzlich jenem hedonistischen Geist der Freiheit zu entsprechen, der die Musik durchzieht. Das ist ein klingendes Sittengemälde und keine Wertung. Alle sind wie sie sind, und mit der schönsten Musik werden die belohnt, die sich nehmen, was sie bekommen können. Das nehmen die einen in Form von schönen Frauen oder Männern mit ins Bett, andere stecken es in Form von Scheinen und Papieren in die Tasche, andere hingegen sehen dabei zu und haben auch was davon, einen schönen Abend im Theater. Kaum zu glauben, das Stück ist 369 Jahre alt und es spielt vor 1949 Jahren, und nach einer vornehmlich von Seniorinnen und Senioren besuchten Vorstellung am Nachmittag mitten in der Woche gibt es anhaltenden, kräftigen Applaus mit Bravorufen.
Nächste Aufführungen: 16., 19.03.; 21., 29.04.
Eine Textfassung des Artikels ist am 25. Februar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.