Einen Dienstagabend im Monat sollte man sich künftig für einen Besuch im Festspielhaus Hellerau vormerken: just startete im Europäischen Zentrum der Künste eine neue Reihe, die, das darf man vorausschicken, durchaus Kult-Charakter entwickeln könnte, nachdem sich der Kultur-Charakter in der ersten Ausgabe schon charmant unter dem Deckmantel des Salons zu verbergen suchte. Wein, Musik, Gespräche, nette Leute – was braucht man mehr? Im gemütlich zurechtgemachten Nancy-Spero-Saal gab der Autor, Zeichner und Musiker Max Rademann, bekannt aus der Lesebühne "Sax Royal", den hochinteressierten Conférencier. Die überaus positiven Attribute, die er gleich zu Beginn dem eingeladenen Gastensemble des Dienstagssalons entgegenrief, waren keine Werbefloskeln, sondern entsprangen aufrichtiger Bewunderung. So war man auch als Zuhörer sofort in einer Atmosphäre des Staunens und Entdeckens gefangen – übrigens die schönste Art, sich selbst fremde Klänge zu erschließen.
Im schon bei der Premiere überaus gut besuchten Dienstagssalon sprach denn auch die Musik für sich selbst, und Rademann hatte keine Probleme, eine musikwissenschaftliche Debatte mit seinen Gesprächspartnern auf der Couch zu vermeiden, und das war gut so. Was die Zuhörer musikalisch erlebten, war exzellent: Vokalkunst höchster Klasse mit dem Ensemble "AuditivVokal", das seit vier Jahren in Dresden unter der Leitung von Olaf Katzer außergewöhnliche Hörerlebnisse im Bereich von experimenteller Vokalmusik garantiert. Das bis etwa zum Doppelquartett besetzbare Ensemble hatte für diesen Abend Werke der Renaissance und der Gegenwart herausgesucht, die direkt aufeinandertrafen und somit reizvolle Bezüge und Kontraste schufen.
Die körperlich unterstützte Interpretation der Lasso-Madrigale (Regie: Sylvia Freitag) gelang dabei ebenso erfrischend wie die durchaus zeitgemäße Rezitation der Texte von Max Rademann. Moderne Beiträge gab es von Jürg Wyttenbach, Georges Aperghis und Paul Barker, scharf war der Übergang von Ausschnitten aus Josquins Missa da Pacem zu Aperghis "Jactation Nr. 2" – in der Strenge der kompositorischen Arbeit lag jedoch eine Verbindung weit über die Epochen hinweg. Während diese drei heutigen Stücke einen eher spielerischen Ansatz des Umgangs mit der Stimme offenbarten, war die zweiteilige Aufführung von Michael Edward Edgertons "Anaphora" für Sopran-Solo ein in jeglicher Hinsicht Grenzen sprengendes Erlebnis. Edgertons akribische Vokalakrobatik wurde von Almut Kühne mit vollem Risiko und dennoch spannungsvoller Ruhe dargeboten, so dass auch im Publikum atemlose Stille herrschte.
Trotzdem blieb etwa die spannende Frage offen, ob diese katalogartige Darstellung von Lautäußerungen bereits Musik war und welche Eindrücke die Zuhörer daraus gewannen. Die angenehme Leichtigkeit des Salons wird auch erhalten bleiben, wenn das Publikum künftig stärker mit einbezogen wird. Und das Gespräch mit den Künstlern und untereinander gehört ohnehin mit dazu. Schön, dass Musik nicht vom pädagogischen Reißbrett aus vermittelt werden muss, sondern aus sich selbst heraus und in solch guter Interpretation einfach starke Wirkung entfaltet – der neue Dienstagssalon macht es möglich und wird auch künftig für einen Wohlfühlabend in Hellerau stehen.
Nächste Termine:
19.4., 20 Uhr // Garda
3.5., 20 Uhr // Anne Munka Quartett
Eine Textfassung des Artikels ist am 1. April in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Foto Ensemble: AuditivVokal