Dank Derevo und mindestens 100 Steinen sollte am Freitag vor hoffentlich zahlreichen Zuschauer doch noch an das Gründungsjubiläum des Hellerauer Festspielhauses erinnert werden. Aus- und angebrochen ist damit ein Festjahr von etwa 14 Monaten. Viel drin verpackt an neuen Ideen, manch Rückblick dazu, vor allem aber zahlreiche Querverbindungen zu den Kunst- und Kultureinrichtungen der Stadt.
Rechtzeitig vorm 100. Jahrestag stellte Dieter Jaenicke, Intendant des an der Heller tonangebenden Europäischen Zentrums der Künste, zusammen mit zahlreichen Kooperationspartnern das umfangreiche Programm vor, mit dem an die Gründungsideen von Gartenstadt Hellerau und Deutschen Werkstätten erinnert werden soll. Beide wurden Anfang 1909 nicht von, sondern vor den Toren von Dresden angelegt und sollten den Ansatz der Lebensreform-Bewegung vital in der Praxis umsetzen. Diese Verbindung von Wohnen, Arbeit, Kultur und Bildung war quasi die Basis zur Errichtung des Festspielhauses. Nur ein halbes Jahr nach Grundsteinlegung gab es erste Veranstaltungen, richtig fertiggestellt wurde das Festspielhaus im Herbst 1912. In vergleichbaren Zeiträumen würden heutzutage maximal die Fronten von Befürwortern und Gegnern visionärer Bauvorhaben erhärtet.
Die Geschichte dieser konträr zum Barockmythos von Dresden gedachten Stätte entwickelte sich dennoch unvorstellbar konfus. Aus dem Ort der Avantgarde um Künstler wie Émile Jaques-Dalcroze, Adolphe Appia, Paul Claudel und den Architekten Heinrich Tessenow wurde 1939 ausgerechnet eine Polizeischule und nach 1945 eine Kasernenanlage der Roten Armee – zweifach unvorstellbare Rückschläge sowohl ästhetisch als auch ideell. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1992 wurde endlich wieder an die ursprünglichen Ideale dieses Gebäudeensembles angeknüpft, kamen die Künste und Künstler zum Kunstort zurück. Von 2002 an residierte hier das vom Komponisten Udo Zimmermann gegründete und geleitete Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik, das später zum Europäischen Zentrum der Künste mutierte, dessen Leitung Jaenicke seit 2009 innehat.
Auf der einst als „Grüner Hügel der Moderne“ gepriesenen Anlage dürften voraussichtlich im Oktober 2011 die Gerüste fallen. Der Intendant gibt sich da zuversichtlich, legt aber Wert darauf, künftig nicht nur die Geschichte zu bespiegeln – Hellerau sei schließlich kein Museum seiner selbst –, sondern den Auftrag eines Laboratoriums ernst zu nehmen. Er hat offenbar den Blick auf die bevorstehenden Dezennien gerichtet. Für seine auf die kommenden 14 Monate programmierte Jubiläumsspielzeit „100 Jahre Hellerau“ setzte Jaenicke sowieso auf intensive Kooperationen mit den in Hellerau wirkenden Kulturpartnern wie dem Tanztheater Derevo, der Forsythe-Company, dem Institut Rhythmik e.V. und der Trans Media Akademie. Neuerdings sind aber auch Dresdens Hochschulen für Musik, für bildende Künste und für Tanz mit im Boot, obendrein gibt es enge Verbindungen zum Tanzarchiv Leipzig und zur Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.
Programmschwerpunkte sind natürlich die Performances von Derevo, mit denen einerseits an die allererste Hellerau-Produktion des St. Petersburger Ensembles erinnert und andererseits ein Ausblick auf dessen künftige Ambitionen gewagt werden soll. Für den Sommer sind die Internationale Rhythmikwerkstatt, das Festival Cynetart sowie wechselnde Ausstellungen, Projekte und Installationen vorgesehen. Ganz ohne Gedenken kommt ein so historischer Ort zum 100. natürlich nicht aus – tänzerische Rekonstruktionen sollen an die Tänzerinnen und Choreografinnen Marianne Vogelsang, Mary Wigman und Dore Hoyer erinnern. Und schon bald lautet ein neuer Schwerpunkt „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“.