Sie haben sich alle fein gemacht. Erinnerungen an die Tanzstunde oder an den ersten Ball, als man noch die guten Sachen anzog, vorher zum Friseur ging und ein leichtes Rouge auflegte. Die Augen blitzen, die Körper sind hellwach. Zehn Damen, ein Herr, das ist ein „Bewegungschor für Dresdner im erfolgreichen Alter“ und dieser präsentiert unter der Leitung von Jenny Coogan „Small moments of greatness“. Die kleine Show hat großen Charme. Alle kommen zum Zuge, gemeinsam, in den so sensiblen wie individuellen solistischen Passagen, zu zweit, synchron und davon ausgehend in Variationen, die immer wieder die Gruppe zusammenführen. Mal geben sie sich den Rhythmus selbst, sie summen und singen, nicht tot zu kriegen „Unsere Heimat“ die heimliche Nationalhymne der DDR. Dann werden erinnerungsträchtige Songs zugespielt oder eine Tänzerin greift zur Violine. Jenny Coogan hat sie alle gefordert, überfordert hat sie niemanden, Spiel- und Bewegungslust galt es zu lenken, in Form und Maß zu führen mit einem Anfang und einem Ende, das ist gelungen und der Beifall ist entsprechend herzlich.
Raumwechsel, Szenenwechsel nach 20 Minuten, vom Nancy Spiro Saal in den völlig weißen Dalcroze Saal. Ein Schriftzug in der Projektion: „Aus der Leere“, zwei weiße amorphe Wesen im Gegenüber bilden schon mal in wunderbar stiller Konzentration eine Linie der Korrespondenz aus Strömen der Energie. Die verhüllten und verwunschenen Wesen sind die Tänzerin Ka Dietze und die Puppenspielerin Josefine Schönbrodt. Lichtstimmungen, Projektionen, perspektivische Variationen kommen von Jo Siamon Salich, dessen Part sich nie verselbständigt. Von Beginn an werden wir hineingezogen in geheime Korrespondenzen, die zu Veränderungen der beiden Wesen führen. Sei es dass Ka Dietze ihre roten Hände aus der weißen Verhüllung wie zarte Blätter wachsen lässt, sei es dass Josefine Schönbrodt einen ganzen roten Körper gebiert und wenn Kopf und Leib zueinanderpassen ein tanzendes Trollwesen zum Leben erweckt. Dazu Klänge von gestrichenem Metall, die Projektionen lassen den ganzen Raum behutsam tanzen und die Varianten der nunmehr fast völlig roten Tänzerin, die mit der Puppe und deren Spielerin zu einem Doppel- und Dreifachwesen verschmilzt. Der Humor der Arbeit, die ganz und gar nicht aus der Leere kommt und uns auch alles andere als leer zurück lässt ist fein, für Faszination sorgt das in sich so stimmige Maß dieser Choreografie, die unsere Gedanken aufs angenehmste bewegt.
Zurück an den Ort des Anfangs. „antistrophen“ heißt eine Arbeit von Liron Noa Dinovitz für fünf Tänzerinnen und eine „Herde“, das ist ein weibliches Quartett in bunten Höschen, dem der aufrechte Gang verwehrt bleibt. Wenn wir den Raum betreten fällt er Blick auf eine übergroße goldene Figur eines fetten Gartenzwerges der über einer Tänzerin hängt, die auf einem Rollbrett ein gebratenes Huhn verzehrt. Wer hier nicht sehen will muss riechen. Die Tänzerin samt Huhn wird in dem goldenen Monster verschwinden. Dann werden sich die Tänzerinnen sonderbar verknäulen und verknüpfen, dabei entstehen absurde Bildmotive und eine kleine Zirkusshow im Zeitlupentempo. Wenn wir den Eindruck gewinnen, dass hier die Richtung fehlt, dann dürfte das richtig sein, und das ganze Spiel nimmt uns mit auf eine Suche nach dem Gleichgewicht, nach der Balance, nach der Lust vielleicht oder nach der verlorenen Zeit jener Wesen, die sich im Programmzettel als „Mänaden“ bezeichnen. Es geht gebremst dionysisch zu, das Bild hat nicht nur auf der Bühne einen Rahmen, es bleibt auch darin, ein Spiel in Grenzen. So wie die Kunstreiterin auf der Herde immer wieder um Gleichgewicht und Richtung ringt, dabei die gute Laune nicht verliert und eine zitierte Talenteshow der Gruppe keine Verlierer kennt, so hindert auch uns die Feststellung, nicht immer zu wissen was das alles bedeuten soll, ganz und gar nicht daran dieses behutsam bewegte Gedankenspiel von Liron Noa Dinovitz und ihrem sympathischen Team ganz entspannt zu genießen.
Der Text ist bei www.tanznetz.de erschienen.