Zumindest das Bühnenbild im 1. Akt (Winter in Paris während der Karnevalszeit?) sollte in dem Brutkasten der Staatsoperette die Illusion von Winterkühle vermitteln. Doch spätestens mit dem temperamentvollen Auftritt von Birgit Schaller als russische Gräfin Stasa stiegen die Temperaturen um gefühlte zehn Grad an. Das war aber erst im 3. Akt. Vorher ging es, wenn nicht unterkühlt, so doch etwas behäbig zu, so dass die Längen, die das Stück zweifellos hat, spürbar wurden. Das lag nicht an der Musik, und schon gar nicht am Orchester der Staatsoperette, das Lehárs Musik schwungvoll und einfühlsam unter Christian Garbosniks Leitung zum Klingen brachte.
Wobei man sich schon manchmal fragen konnte: was hatte denn Lehár mit dieser Musik im Sinne, als er nach der „Lustigen Witwe“ mit ihren großen musikalischen Gesten, mit denen man ihn in Richtung Puccini abdriften sah, sich auf Lied- und Tanzformen, z. T. mit russischen Anklängen, auf naturalistische Schilderungen und gelegentlich auf einige eingängige Walzer beschränkte? Zwar hieß es nach der Uraufführung 1909, dass diesmal eine „echte Operettenmusik“ vorläge. Doch es ist überliefert, dass Lehàr von der Wirkung seiner Musik, der er zunächst gar nichts zutraute und die er in Windeseile produziert hatte, selbst überrascht worden war.
Die Geschichte vom Bonvivant Graf René, der sein Erbe verjuxt hat und gegen viel Geld eine Scheinheirat mit einer vor ihm verborgenen Sängerin eingeht, die damit den Grafen-Titel erhält, um nach drei Monaten ihrerseits von einem russischen Fürsten geehelicht werden zu können, ist durchsichtig genug. Denn es findet sich schließlich eine Möglichkeit, dass das anonyme Paar nun zu sich kommt und vergnügt vereint bleiben kann – wenn nicht die Käuflichkeit von Menschen und ihren Beziehungen der ganzen Sache einen schalen Beigeschmack geben würde. Wenn auch in heiterem Gewande, so doch in aller Konsequenz von den Autoren Alfred Willner und Robert Bodanzky durchgespielt, sollte ein solches kritisches Potenzial der Operette zugetraut und sichtbar gemacht werden.
Dieses zu allen Zeiten anzutreffende Phänomen wurde jedoch überspielt, dafür versuchte die Regie von Matthias Oldag, aus den wechselnden Auftritten des Buffo-Paars (Jeanette Oswald/Andreas Sauerzapf) und der Protagonisten Ingeborg Schöpf, als großartige Diva Angèle mit einigen spitzen Obertönen, und Michael Heim als René mit allzeit kräftigem Tenor Feuer für die Inszenierung zu schlagen. Das gelang mehrfach für die musikalischen Nummern, während die Dialogszenen gar nicht spritzig und witzig, sondern eher etwas zäh waren. Was eigentlich schade war, denn das Werk selbst macht genügend Angebote.
Unübertroffen aus der ganz alten Schule komödiantischer Darstellung ohne Karikatur kommt Jürgen Mutze als Fürst Basil daher, der die Sache für seine teure Angèle einfädelt und dann doch das Nachsehen hat, weil eine Gräfin aus seinem Heimatland sein Heiratsversprechen ernst nimmt und ihn nun gewinnen will. Für die Inszenierung an der Staatsoperette wurde die Rolle der Stasa für Birgit Schaller aufgewertet: über einem Quodlibet beliebter Lehàr-Schlager zündet sie ein Feuerwerk aktueller Anspielungen auf die neue neureiche russische Gesellschaft ab, das ihr Wolfgang Schaller von der Herkuleskeule auf den Leib geschrieben hat.
Ausstattung und Bühnenbild (Barbara Blaschke) waren opulent und gaben dem Chor (Einstudierung Thomas Runge) und dem Ballett (Choreographie Winfried Schneider) vielfach Gelegenheit zu ansehnlicher optischer und akustischer Präsenz mit spürbarem Augenzwinkern.