Hier ist der Mitteldeutsche Rundfunk – wir schalten um in das Große Haus, das in wenigen Minuten mit Ludwig van Beethovens ‚Fidelio‘ eröffnet wird…
Die zweite Ausgabe der ‚Semperoper Edition‘ mit CD, DVD-Bonus und ausführlichem Booklet, ist diesem ‚Fidelio‘ gewidmet, der 1948 im Großen Haus der Staatstheater Dresden erklang – und dem Wiederaufbau selbst des früheren Schauspielhauses am Dresdner Zwinger. Es war die erste Theatereinweihung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt.
Nach den Provisorien der unmittelbaren Nachkriegszeit (dokumentiert Semperoper Edition Vol. 2) mit Begeisterung von den Dresdner Bühnenkünstlern über wieder reguläre Spielmöglichkeiten angenommen, vom Publikum berannt, das in den Mangeljahren der frühen Nachkriegszeit auch nach Kultur hungerte, weit in Ost und West als Signal des begonnenen kulturellen Wiederaufbaus wahrgenommen, wurde diese ‚Festaufführung zur Eröffnung des Großen Hauses der neuen Sächsischen Staatstheater‘ zum Dresdner Ereignis 1948.
Funken der Emotionalität sprangen auch über als jüngst in der Semperoper die CD/DVD-Produktion „Fidelio – 1948“ präsentiert wurde. Denn es ist schon ein besonderes und berührendes Ereignis, wenn bei einem Pressegespräch Zeitzeugen und die Folgegeneration der Protagonisten einer Aufführung vor dreiundsechzig Jahren zu erleben und zu hören sind. Dr. Thomas Keilberth sprach über seinen Dirigentenvater, der 1945 auf der Flucht von Prag die Elbe abwärts in Dresden hängen blieb und einfach zur Stelle war als es zaghaft, aber im Juli 1945 schon, mit ersten Operkonzerten und -Theater in einem nicht zerstörten Saal, der Tonhalle, wieder aufwärts ging. Theo Schenk erzählte von seiner Mutter Christel Goltz, die im Fidelio-Kostüm begraben sein wollte, was sie auch ward und Elfriede Trötschels Sohn, Dr. Andreas Trötschel, wie er, klein noch, erlebte, dass seine Mutter einmal im Zwinger „die Hände nach oben hob, um für die Gnade der Gabe ihrer schönen Stimme zu danken“.
Gerhard Steinke, der damals 21 Jahre alte Rundfunktechniker, schilderte wie er für die Aufnahmen der Festveranstaltung vier Flaschenmikrofone des Reichsrundfunks noch, im Bühnen- und Orchesterboden montierte, einen 75 Kilogramm schweren Reportage-Röhrenverstärker mit Bandgerät, der noch von der Olympiade 1936 stammte, über eiserne Treppen in eine Proszeniumsnische stemmte und mit zwei Drehknöpfen Aussteuerung und Übergänge steuern musste „ich schwitzte Wasser und Blut, aber es ist gut gegangen“.
Am 13. Februar 1945 war das schönste Opernhaus Deutschlands in Schutt und Asche gesunken. Der Schauspielbau auf der anderen Seite des Zwingers auch, doch waren die Schäden weniger hoch, so dass sein Wiederaufbau am ehesten möglich war. Künstler, Angestellte der Häuser, „Trümmerfrauen“ und Männer, räumten Schutt, bis die Arbeiten ins geregeltere Laufen kamen. Unter den schwierigen Mangelumständen der Nachkriegszeit werkten im Höhepunkt am Bau bis 280 Arbeiter und Baupersonal. Im Äußeren gleich, innen umgebildet mit verbesserter Akustik und die Bühnentechnik allen Forderungen angepasst, entstand ein neues Theater, das Schauspiel, Oper und Kapelle aufnahm, bis letztere 1986 wieder ihr eigenes Haus zurück bekamen.
Die Eröffnung fand am 22. September 1948 statt, den Tagen, an denen die Sächsische Staatskapelle auch ihr 400-jähriges Jubiläum beging. Abends dann die Festaufführung von ‚Fidelio‘ in neuer Nachkriegseinstudierung von Heinz Arnold mit Gesamtausstattung von Karl Appen unter musikalischer Leitung Joseph Keilberth. Die Leonore sang Christel Goltz, die von da an die Verkörperung der Rolle Fidelio zeitlebens war – wie sie die auch zur Eröffnung der Wiener Staatsoper 1956 sang. Die weiteren Partien mit Bernd Aldenhof, Josef Hermann, Gottlob Frick, Elfride Trötschel und anderen besetzt.
Durchstöbern musste Steffen Lieberwirth, Chefproduzent des MDR-Hörfunks in mehrjähriger Suche die Archive, des Deutschen Rundfunk (DRA), von Sächsischer Staatsoper, der DEFA, SLUB Dresden und private Quellen. Denn die Tonbandaufnahme von 1948 hatte sich durch Schnitte, Auskoppelungen, Weitergabe für andere Verwendung an viele Orte verteilt. Zufall und kriminalistisches Gespür verhalf auch zur lange vermissten Ouvertüre. Lieberwirth „wir hörten in ganz anderem Zusammenhang einen Rundfunkmitschnitt, als der Fidelio Auftakt erklang. Ich stutzte bei der Absage, die den Dirigenten nicht nannte, denn es war strikter Usus, Künstlernamen von denen die in den Westen gegangen waren nicht zu nennen. Das war die Spur …“ Es fehlt im Wesentlichen nur noch der Gefangenenchor.
So ist auf der CD in Compilation von zehn Teilen überlieferter Archivbänder mit 70:44 Minuten der fast vollständige Fidelio im Originalton der Aufführung von 1948 erhalten. Nach aufwendiger, digitaler Tonrestaurierung, hört sich schön auch mit heutiger, verwöhnter Hörgewohnheit, der weiche Klang der Staatskapelle, Wohllaut und Verständlichkeit der Sängerstimmen bei den getragenen Tempi des Keilberth‘schen damaligen Dirigats.
Nicht bloß Bonus, sondern amüsant und von eigenständigem Zeitdokumentationswert ist die DVD mit 40 Minuten von DEFA-Wochenschauaufnahmen, filmischen Reportagen, Interviews die dramaturgisch verbunden sind durch ein Zeitzeugen-Gespräch. Von besonderem Wert ist auch das beigelegte Buch im Booklet-Format als kleines Kompendium der Dresdner Musiktheater- und Wiederaufbaugeschichte nach 1945, der Aufführungsgeschichte des Fidelio-1948, von Rezensionen, Künstlerbiografien wie von Geschichten um sie und nicht zuletzt der Rundfunk- und Aufnahmetechnik nach 1945. Lediglich fehlt im Gedruckten ein Register und Nachweis der Einspielungen auf DVD.
Die Veröffentlichungen in dieser Form der mit Originaldokument und Information geballt gepackten Kassette, versprechen zu einem spannenden Abriss deutscher Kultur-, Musik-, Radio- und Technikgeschichte zu werden, das in dieser Form keine andere deutsche Stadt vorzuweisen hat.
Semperoper Edition Vol. 2, Label Profil Günter Hänssler, Dresden 2011, Kassette mit CD, DVD und Booklet, 180 Seiten dt./engl., vielzählige farb und s/w Abbildungen, Dokumente, Faksimile, 39,95 Euro, Subskription für Abonnenten abzüglich 20 Prozent