Der Schlagzeuger Günter Baby Sommer hat schon in diversen Literaturprojekten mitgewirkt und darin kräftig gewirbelt. Ob mit Christa Wolf, mit Christoph Hein oder mit Günter Grass, stets drosch er sich ganz in den Dienst der Sache. Das Resultat war noch jedesmal mehr als nur die Summe des Ganzen. Literatur und Jazz schufen – in diesen Konstellationen – immer einen deutlichen Mehrwert.
Doch noch nie hat sich Sommer auf solche Grenzüberschreitung der Genres mit Volker Braun eingelassen. Dabei verbindet den 1943 geborenen Musiker und den 1939 zur Welt gekommenen Dramatiker und Lyriker weit mehr als nur der gemeinsame Geburtsort Dresden. Es sind wohl auch Fragen von Haltung, hellwachem Geist und einer besonderen Art von Widerspenstigkeit, die Braun und Sommer in eine künstlerische Verwandtschaft rücken. Höchste Zeit also, dass sie sich mal aufeinander einlassen sollten!
Ausgerechnet zur Bardinale, dem nun zum 10. Mal ausgerichteten Treffen der Poesie im sehr selbstbewusst als Dresdner Literaturhaus apostrophierten Alfred-Kästner-Museum am Albertplatz, ist dies nun am ersten September-Sonntag geschehen. Vor vollem Haus im Roten Salon gab es Musik und Text, Jazz und Lyrik, Rhythmus und Wort. Weil Sommer ja nicht nur seine Maschinerie aus Becken, großer Trommel, Gongs und kleinen Trommeln zu bedienen hatte, sondern Brauns Texte auch mitlesen musste, machte er ein „Brillenkonzert“ daraus. Normalerweise konzertiert er ja ohne Sehhilfe. Doch auch hier nutzte er nicht nur das „klassische“ Instrumentarium, sondern ging zu einem sehr melodiösen Ausflug ans Hang und nutzte für einen 360-Grad-Rundumschlag alles, was sich irgend betrommeln oder mit dem Trommelbesen bestreichen ließ. Da musste selbst der Körper des Dichters für rhythmischen Klang herhalten. Volker Braun nahm es mit Vergnügen.
Das Spektrum seiner Texte war ähnlich breit wie der Einfallsreichtum dieses musikalischen Giganten, der das gemeinsame Publikum auch mal zu einem ausgedehnten Solo mitnahm. Braun erinnerte sowohl an seine frühesten Kindheitserinnerungen und musste dazu nur ein Wort wie „Trümmerflora“ bedienen. Er zitierte Texte, die im philosophischen Reibungsprozess am untergegangenen DDR-Staat entstanden – aber beim Wiederhören von beachtenswerter Gültigkeit geblieben sind. Natürlich sezierte der kluge Kopf auch die sogenannte Wende mit all ihren Folgen, schilderte eine Begegnung von Künstlern und Politik im Sächsischen Landtag, tummelte sich gedankenreich über den Dorotheenstädtischen Friedhof von Berlin, brachte die aktuelle Krise ins Spiel, angesichts derer zu fragen wäre, wo all der Mut und das Aufbegehren von 1989 denn hin sind?
Bei vielen, vielen Sentenzen horchten die Gäste zustimmend auf, schmunzelten bei trefflichen Feststellungen („Das Sein und bestimmt das Bewusstsein im Eimer“) und mochten sich mit Volker Braun gefragt haben, wieso angesichts zerfallender Banken im Volk denn nicht mehr Zorn aufkommen möge? „Am Ende des Tages bist du ein Produkt“, resümierte der Dichter bitter, doch ohne verbittert zu sein. Sein messerschafter Witz ist ihm zu keiner Zeit abhanden gekommen: „Warum sollte ich Modell werden / in der Wegwerfgesellschaft?“
Zwanzig Texte aus etwa vier Jahrzehnten, dazu die packende, zeitlose Musik – das konnte und durfte nicht ohne Zugabe abgehen. Volker Braun ließ sich ein altes Büchlein reichen, wohl ein mitgebrachtes Exemplar zum Signieren, und suchte das passendste Gedicht daraus hervor, geschrieben 1965. Sein Titel: „Jazz“.