Runde Zahlen in Hellerau. Vor 100 Jahren öffnete das Festspielhaus, das in nur drei Jahren bis zum ersten Weltkrieg den Ruf des Ortes begründete. Alles nimmt darauf Bezug, aktuell die Akademie für experimentelles Musiktheater. Jubiläumsgeschenk soll endlich auch die äußere Wiederherstellung des Festspielhauses sein, das bekanntlich von innen nach außen saniert wurde. Gerüste, Staub und Baulärm empfangen den Besucher deshalb in diesen Tagen. Im Wesentlichen soll das Haus wieder so aussehen wie einst, ohne allerdings die Agitprop-Spuren aus der Zeit als Turnhalle der Roten Armee zu verwischen.
Ein Vierteljahrhundert rundet sich auch schon für die ehemaligen Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik, 1987 von Udo Zimmermann initiiert. Vom 1. Oktober an erlebt das Festival in all seinen Wandlungen die 25. Auflage. Zu diesen Wandlungen gehörte auch die Umbenennung in »Tonlagen« mit dem Amtsantritt von Dieter Jaenicke vor drei Jahren. Das Europäische Zentrum der Künste hat sich dafür wiederum einen Jubilar als Hauptgast eingeladen. Während der Festivaltage feiert am 3. Oktober der weltbekannte amerikanische Komponist Steve Reich seinen 75. Geburtstag. Oft als Ikone der Minimal-Music minimiert, wird Reich in vielen Facetten allein fünf der 19 Veranstaltungen dominieren.
Schon der Prolog am 30. September mit Schülern des RoRo-Gymnasiums unter der Regie von Annette Jahns ist ihm gewidmet. Spielort ist der Hauptbahnhof, neben dem Palais im Großen Garten, dem Konzertsaal der Musikhochschule und der Lutherkirche einer von vier externen Spielorten des Festivals im Stadtraum. Die Dresdner Philharmonie bringt mit den Synergy Vocals aus London Reichs Psalmenvertonung zu Gehör. Den akustischen Part der gemeinsam mit Beryl Korot geschaffenen Videooper „The Cave“, in der Dresdner Fassung auf rund zwei Stunden komprimiert, bestreitet das Ensemble Modern. Noch einmal tritt es mit dem Meister persönlich am 13. Oktober in Erscheinung. Dann steht dessen wohl bekannteste Komposition „Music for 18 Musicians“ auf dem Programm. Und wenn Jan Vogler solo neben Reichs einziger Cello-Komposition auch Bach spielt, erinnert er damit an den prägenden Einfluss des einstigen Thomaskantors auf den führenden amerikanischen Komponisten.
Eine andere Linie, ebenfalls bei Reich schon anklingende Linie des diesjährigen Programms führt in den Nahen Osten, in den Raum der jüdischen Geschichte, aber auch ins Konfliktgebiet zwischen Israel und den Palästinensern. Entsprechend vernehmlich sind auch die Einflüsse orientalischer Musik. Das Eröffnungskonzert mit den Dresdner Sinfonikern erinnert mit „Cinema Jenin“ des Iraners Kayhan Kalhor an die Rettung eines Kinos im Westjordanland.
Ans Ärchäologische grenzt „Ventos“ mit dem Spiel auf einer rekonstruierten Flöte aus den Knochen eines Singschwanes, wie sie vor 39.000 Jahren schon benutzt wurde. In die innere Einsamkeit eines heutigen Finanzkonzerns führt hingegen die Uraufführung der Kammeroper „Ferne Nähe“ des viel versprechenden Leipziger Komponisten Daniel Smutny. Eine Trumpet Late Night überschreitet das klassische Konzertformat ebenso wie ein langer Abend im experimentellen „Morphonischen Labor“ des Palais im Großen Garten.
Morphonic Lab feiert dabei ebenso sein zehnjähriges Bestehen wie das Elole-Klaviertrio in einem vom Deutschlandfunk aufgezeichneten Konzert. Weit über traditionelle Spielweisen hinaus geht das auf zehn Musiker verstärkte Brandt-Brauer-Frick-Ensemble, während man vom traditionellen Konzert der Kinder-Komponistenklasse nicht zuviel Avantgarde erwarten sollte. Das Festival geht am 16. Oktober zu Ende mit einer „Konferenzoper über die Himmelfahrt der elektronischen Musik als barockes Bild“ von Santiago Blaum, wie das Programmheft schreibt. Ein wiederum sehr übersichtliches und appetitanregendes Programmheft.
Dieter Jaenicke, seit zweieinhalb Jahren künstlerischer Leiter, sieht etwa seit Jahresbeginn 2011 endlich auch zählbare Erfolge der Arbeit des Hellerau-Teams. „Die Stadt kommt jetzt wieder auch zu uns“, resümiert er, die Auslastung durch ein auffallend junges Publikum ist auf fast 90 Prozent gestiegen.