Das Etikett vom Wunderkind ist nett, aber falsch und es wird kleben bleiben. „Solche Begriffe sind doch Marketing-Schubladen, ich kann damit nichts anfangen“, sagt Elin Kolev. „Wunderkind suggeriert, dass demjenigen alles zufällt – ich aber arbeite hart, übe bis zu fünf Stunden täglich.“ Dabei ist es gerade der 14-Jährige aus Zwickau, der derzeit wie kein anderer junger Künstler im Land als eben solches Wunderkind betitelt wird. Er gilt als das deutsche Geigertalent. Mit neun Jahren nahm er ein Musikstudium auf, mit zwölf gewann er zwei große Violinwettbewerbe und spielte in der New Yorker Carnegie Hall. Heute erscheint seine erste CD beim renommierten Label Sony, und Anfang Oktober spielt er in einem Kinostreifen „Wunderkinder“ eine der Hauptrollen. Der Film – prominent unter anderem mit Gudrun Landgrebe und Kai Wiesinger besetzt – erzählt von der ungewöhnlichen Freundschaft von deutschen und jüdischen Musiktalenten in Russland während des Zweiten Weltkriegs.
„Ich lasse ja marketing-technisch einiges mit mir machen“, sagt der junge Mann, „werde aber versuchen, eine perfekte Mitte zu finden.“ Noch hält sich der Trubel im Rahmen, noch nimmt er alle Interviewwünsche ernst. Doch seine technische Entwicklung und Karrieresprünge sind erstaunlich, vor allem seit er zum Karlsruher Geigenprofessor Josef Rissin wechselte. Im März gab er sein erstes Solokonzert – demnächst stehen Solos und Auftritte mit Orchester auf den größten deutschen Podien wie im Festspielhaus Baden-Baden und in der Berliner Philharmonie an.
Elin hat ordentlich Repertoire zu pauken, um dort bestehen zu können. Obwohl er sagt: „Ich bin noch kein ausgewachsener Solist. Also versuche ich, wenige Konzerte zu geben, um genügend Zeit fürs Lernen und Verstehen der Kompositionen zu haben.“ Zugleich glaubt er jenen, die behaupten, man dürfe Agenten keine Konzertanfrage abschlagen, sonst käme man auf deren schwarze Listen. Seit seinem fünften Lebensjahr spielt der gebürtige Deutsche mit bulgarischen Wurzeln sein Instrument. Die Eltern sind Musiker und managen ihn noch – Elin spricht scherzhaft von der Kolev-GmbH, die auch „die unglaublichen Einladungen, auf Betriebsfeiern und Beerdigungen zu musizieren“, abwehrt. „Wir versuchen, viel von ihm fernzuhalten“, sagt sein Vater Marian. „Er kennt auch viele der Zeitungsartikel über sich nicht.“
"Cross-over-Projekte, wie sie David Garrett mit Erfolg betreibt, lehne ich ab. Das Image wird man nie wieder los."
Einen Superlativ freilich kennt Elin auch so. Er bringt als einer der jüngsten Geiger ein ernst zu nehmendes Album heraus – so wie einst Anne-Sophie Mutter und David Garrett auch 14-jährig. Elins Debüt ist gut. 14 Titel sind drauf, darunter zwei Stücke aus dem „Wunderkinder“-Film sowie Hits von Chatschaturjans „Säbeltanz“ über Brahms’ „Ungarischen Tanz“ bis zum „Sommer“ aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. „Es soll für jeden Geschmack was dabei sein. Ich will eine breite Zielgruppe ansprechen.“
Schöne Kost also und exquisit mit den Dresdner Kapellsolisten unter Helmut Branny in der Börse Coswig aufgenommen. Der Ton der Carcassi-Geige ist wunderbar weich, wenn Elin etwa das Thema aus dem Film „Schindlers Liste“ und Pablo de Sarasates nicht unheikle „Zigeunerweisen“ spielt. Und anderen, hörenswerten Charme erhält der Piazzolla-Tango „Oblivion“, wenn ihn der Zwickauer mit seinem BarockInstrument improvisiert.
Wie geht’s weiter? Der Berufswunsch ist klar, das Ziel eine Solokarriere. Wird er ein zweiter David Garrett? „David ist ein netter Mensch und eine faszinierende Persönlichkeit.“ Nur dessen Crossover-Projekte von Klassik, Rock und Pop sind nichts für Elin. Zwar verkauft Garrett so Millionen CDs – in der Klassikbranche ist er wegen dieser Grenzübertritte allerdings unten durch. Erstaunlich abgeklärt ist Elin Kolev in dem Moment: „So ein Image wird man nie wieder los!“
CD-Tipp: Elin Kolev: „Elin Kolev“ (Sony)
Der Artikel ist am 22. September in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Autor und dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.