Das Schauspielhaus war zur besten Kaffeezeit zwar nicht ganz ausverkauft, aber sehr gut gefüllt. Dabei auffallend viele junge Leute. Bei Eintrittspreisen zwischen 18 und 48 Euro keine Selbstverständlichkeit. Eine Kooperation mit Dresdner Schulkonzerte trug offensichtlich Früchte. Heißt es doch immer, die Dresdner seien konservativ und skeptisch gegenüber Neuem, hörte man heute oft, dass der Nachwuchs die Eltern in „die gediegene Außenstelle der Jazztage“, so Kilian Forster in Anspielung auf die Stammspielstätte Societätstheater, gelockt habe. Guerilla-Marketing sozusagen.
Das schwedische Quintett braucht keine Aufwärmphase, schon der Aufgang der zwei Sängerinnen und drei Sänger auf die Bühne wird bejubelt. Benannt hat sich die Gruppe nach dem „Real Book“, einer in den 1970er Jahren entstandenen Sammlung transkribierter Jazzkompositionen, die auch die Bibel des Jazz genannt wird.
Komödiantisches Talent und eine Spur Selbstironie
Mit Adaptionen von Swingstandards hatte sich die seit 27 Jahren erfolgreiche Band ursprünglich empfohlen. Daran erinnert der erste Song. Zwei weitere von ihrem „The Real Album“ folgen. „Bumble Bee“ zum Beispiel. Alle Bandmitglieder haben die Königliche Musikakademie in Stockholm absolviert. Emma Nielsdotter (Sopran), Katarina Henryson (Alt), Anders Edenroth (Tenor), Morten Vinther Sørensen (Bariton) und Anders Jalkeus (Bass) moderieren abwechselnd und amüsant. Nicht nur in ihren Songs beweisen sie komödiantisches Talent und eine Spur Selbstironie. Das versteht auch, wer des Englischen nicht mächtig oder sprachlich nicht sattelfest ist. Anders Jalkeus hat in der Schule Deutsch gelernt und rezitiert eine schlecht übersetzte Passage aus einem Buch für Ingenieure. Die Treppe. Oder ging es doch um eine Scheibenwischanlage? Es bleibt offen. Doch eine Ulkshow ist das hier nicht. Es wird natürlich größtenteils gesungen.
Die Stimmen harmonieren auf einzigartige Weise. Ungewöhnliche Eigenarrangements überraschen. Improvisiert? Selbst geschrieben? Nicht immer hört man es auf Anhieb heraus. Doch das ist unerheblich. The Real Group beherrscht den Genre-Kanon und reißt das Publikum mit. Sogar beim „Prime Time Blues“, der dann doch gar nicht melancholisch wirkt. Ein Paradestück ist „In the Summertime“. Bei dem Lied imitiert Anders Jalkeus eine Töne-Verzerrmaschine. Unglaublich, wie ein Bass die Stimme in die Höhe schrauben oder ihr einen zeitweiligen Sprung verordnen kann. Über das Medley mit Liedern schwedischer Komponisten dürften die Teenies dann doch ins Staunen geraten sein. Hits von Britney Spears, den Backstreet Boys und Robin klingen im jazzigen a cappella-Stil erst wie richtige Hits. „Oops, I did it again…“
War das jetzt echter Jazz?
Nach der Pause folgt ein Count-Basie-Medley mit Old Standards. Wie soll man Jazz erklären, beschreiben? Dabadidada… das muss man hören. Im nächsten Lied haucht Bariton Morten Vinther Sørensen Wind ins Mikrofon, der Gesang der Kollegen mutet kurzzeitig an wie im tibetischen Kloster. Doch wo sind die Instrumente? Man glaubt sie zu hören, und doch werden alle Melodien nur mit den Stimmen produziert. Da verzeiht man auch den kleinen, deutsch und vom Bass gesungenen, musikalischen Seitenhieb auf den Tenor. „Ständig heiser, krank und launisch…“ Das kann nur Kunst sein.
Tenor Anders Edenroth, der auch die meisten Songs der Band schreibt, kann sich leisten, über den Dingen zu stehen. Emma Nielsdotter schließlich spannt den Bogen bis zum Country. Zu ihrem Lied „A Minute On Your Lips“ wurde sie in Nashville inspiriert.
Den Schlusspunkt nach knapp zwei Stunden bildet die jazzige Version von Michael Jacksons „Bad“. Der Saal tobt. Nach zwei Zugaben überrascht das Publikum dann die Band und singt "Ein kleiner grüner Kaktus“. Den Textzettel hatte der Vocal-Stammtisch in der Pause auf den Sitzen verteilt. Würde das funktionieren? Ich hätte vorher auf allgemeines Lippenstummbewegen gewettet. Im Dresdner Schauspielhaus singt der ganze Saal. Echt? Real! The Real Group live. Standing Ovations. War das jetzt echter Jazz?, fragt eine jugendliche Stimme hinter mir.