Website-Icon Musik in Dresden

Gespräch über das Unsagbare

Zischlaute. Würgen. Stöhnen. Und am Ende des Konzerts in der Synagoge eine brutale, ohrenbetäubende Stille. Heinz Holligers Komposition "Psalm" für sechzehnstimmigen Chor über ein Gedicht Paul Celans anzuhören, war qualvoll. Nachdem die Sänger ihren Stimmen wiedergefunden hatten, bot der Chorleiter daher an, sich noch einmal im Gespräch diesem erschütternden Werk zu nähern. Hans-Christoph Rademann zeigte den interessierten Schülern, die die Begegnung wagten, die grafisch verwirrend komplex notierte Partitur. "Ich habe meinen Sängern gesagt: auch wenn wir nicht wissen, ob wir das hier auch nur ansatzweise verstanden haben, müssen wir es in vollstem Ausdruck darbieten!" Die Erarbeitung des extrem schwierigen Werks habe den Dresdner Kammerchor Kraft gekostet, sagt er; aber sie hat ihn irgendwie auch gestärkt, den Blick erweitert. Und selten werden auch die Hörer ein so eindrückliches Stück durchlebt haben.

Foto: M.M.

In einer durchdachten Dramaturgie führte der Kammerchor in diesem Konzert auf Holligers "Psalm" hin. Charlotte Seithers vierteltönig klagende "Hora" wurde von Robert Heppeners "Nachklängen" aufgefangen. Und Henry Purcells Psalmfragment "Hear my prayer" erklang zu Anfang in seiner unvollendeten Fassung, danach mit der zeitgenössischen Fortschreibung Sven-David Sandströms, die mit Halleffekten operierte und neue Ebenen in das Stück einwebte. Sinnbildlich für das gesamte Gedenkkonzert anlässlich des Jahrestages der Reichskristallnacht war das: es gilt, sich mit dem, was gewesen ist, immer wieder aufs Neue auseinanderzusetzen.

Henryk Góreckis anschwebendes, kraftvoll sich verströmendes "Amen" rundete das bewegende Nachmittagskonzert. Dass es den Eindruck des Holliger-Psalms damit auch ein Stück weit abfederte, ist in Kauf zu nehmen, denn, so das Programmheft: mit diesem Górecki finden wir aus der Verstörung vielleicht zu einer Beständigkeit zurück, die uns gegenüber Gewalt weniger angreifbar macht.

Eine Textfassung des Artikels ist am 9. November 2011 in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

Die mobile Version verlassen