Wolf Biermann in Dresden. Da denkt man doch zunächst an sein Kölner Konzert von 1976, das die Berliner Ost-Bonzen zum Anlass nahmen, den Liedermacher auszubürgern und ihn somit hoffnungslos überzubewerten. Letztlich sind daran beide beteiligten Seiten gescheitert. Nicht nur die Dachdecker und Tischler, die sich zu Sachwaltern einer vorgeblich humanen Ideologie erhoben. Auch der Hamburger Kommunistensohn, der 1943 dem Inferno seiner Vaterstadt nur durch den beherzten Zugriff der Mutter entkam.
Man könnte an das einzige DDR-Konzert denken, das im September 1976 nur durch eine absurde Panne im Spitzelsystem über die Bühne ging – in der Nikolaikirche von Prenzlau. Gedanken an unter der Hand weitergereichte Abschriften von Liedtexten, an Tonband-Kopien, an die heimlich gehörten Langspielplatten könnten aufkommen. Oder die Erinnerung an das durchaus legendäre Konzert vom Dezember 1989 in der Leipziger Messehalle. Was loderte da für ein Feuer in dem wütenden Barden!
Inzwischen sind 35 Jahre seit Köln und mehr als zwei Jahrzehnte seit Leipzig vergangen. Solche Zeiträume gehen auch an vermeintlichen Ikonen nicht spurlos vorbei. Wolf Biermann ist grau geworden, wirkt aber keineswegs wie 75. Das Haupthaar ist voll, der Schnauzer ist wichtig. Und doch hat er am 15. November sein dreiviertel Jahrhundert feiern können, der Büchner- und Heine-Preisträger mit dem Großen Bundesverdienstkreuz. Seine Vortragskunst ist nach wie vor stilsicher. Das Gitarrenspiel – ein Intro von Flamenco bis Blues – gekonnt. Und zu singen hat er bis heute nicht gelernt. Muss er auch nicht. Aber im Gegensatz zu manch anderen Konzerten hat er es in Dresden kaum auf die Probe gestellt. Von wenigen zur Klampfe vorgetragenen Texten abgesehen. Wolf Biermann hat diesen Abend tatsächlich damit verbracht, gut zwei Stunden lang auf sein Buch hinzuweisen. „Fliegen mit fremden Federn“ heißt es und soll während der gleichnamigen Deutschland-Tour möglichst zahlreich verkauft werden.
Darin enthalten sind diverse Übertragungen und Nachdichtungen, die großteils während der ihm von 1965 bis 1976 aufgezwungenen Konzertpause entstanden sind. Von Bulat Okudschawa und Wladimir Wyssozky bis hin zu Louis Aragon und Francois Villon hat Biermann Verse „ans deutsche Ufer gezogen“, wie er es nennt. Und seinem Publikum im Theater wird dazu eine Menge an kommentierenden Zusatzinformationen geliefert. Da kommen natürlich immer wieder das eigene Auftrittsverbot und die Ausweisung zur Sprache, diese nachhaltigen Stigmata des einstweiligen Sängers. Aber auch Schicksale wie die Gulag-Zeiten etwa von Juli Daniel und Abram Terz (Pseudonym von Andrei Sinjawski) werden aufgerollt und vermögen noch immer zu ergreifen.
Lehrstunde der Selbstgefälligkeit
Wenn nur der einst so pointierte Wolf Biermann inzwischen nicht derart eitel und geschwätzig geworden wäre! Sogar die Einblicke in seine Übersetzerwerkstatt, die bei ihm ja immer mit freier Dichtkunst zu tun hat, geraten weitschweifig als Lehrstunde der Selbstgefälligkeit. So wird ein Denkmal aus eigenen Kräften gestürzt. Die Weisheit lächelt, sagt er, und die Dummheit lacht. Der sparsam besetzte Saal gibt dem grau gewordenen Wolf in bestürzender Weise Recht. Immerhin singt er nach diesen zwei Sternstunden der Eitelkeit als Zugabe noch seine „Ballade vom Preußischen Ikarus“, jenem eisernen Adler an der Weidendammer Brücke über der Spree.
Man wird auch in Zukunft eher an die Berliner Chausseestraße, die Kölner Sporthalle und die Leipziger Messe denken, wenn man Biermann denkt. Die Lesetour vom Herbst 2011, die von Hamburg aus via Berlin, Dresden, München und Wien bis nach Zürich führt (12. Dezember, Theater am Hechtplatz), darf man getrost mit Milde vergessen. Zumal inzwischen das vom WDR damals live gesendete Köln-Konzert des 13. November 1976 nun endlich als DVD auf den Markt gelangt ist.
Wolf Biermann: „Fliegen mit fremden Federn“
Nachdichtungen und Adaptionen
Hoffmann und Campe, 26,- EUR