Wenn ein neues Stück Musiktheater beim Ersthören Fragen auslöst, Fragen nach der eigenen Erwartungshaltung und auch größere Sinnfragen, dann ist das erst einmal gut. Aber dabei sollte die Kunst natürlich nicht stehenbleiben. Man möchte gepackt, neugierig gemacht, in eine andere Welt gesogen, man möchte herausgefordert werden, ja, und manchmal möchte man auch ein bisschen genießen. Das Stück muss dafür Balancen zwischen Banalität und Komplexität ausloten, es muss Räume, künstlerische Bezugssysteme aufmachen und sie anschließend füllen, so dass man am Ende vielleicht sagen kann: das war gelungen, oder: mir hats nicht unbedingt gefallen, aber faszinierend wars schon!
Die neue Musiktheaterproduktion von Studenten aus Manos Tsangaris‘ Kompositionsklasse, »Zangezi« betitelt, löst von diesen Dingen nicht eben viel ein. Sie schmückt sich mit postmodernen Beliebigkeiten und schiebt die Schuld schon in der Eröffnungsrede dem russischen Futurismus zu: es gibt ja keine klassische Handlung, erwartet von uns also nicht, euch etwa mit dem Aufbau von Spannungsbögen zu bedienen. Das Verhältnis von Publikum und Werk wird milde angeteasert, die Werkdimensionen selbst fransen ein bisschen aus (Musik beim Einlass, Musik nach dem Ende der Musik), aber selbst das ist in Tsangaris‘ Klasse recht erwartbar.
Das Grundproblem bei ihrer Gemeinschaftsaufgabe, und das haben die Komponisten Martin Baumgärtel, Lorenz Grau, Michael Hiemke, Neele Hülcker, Nicolas Kuhn, Tobias Eduard Schick, Eleftherios Veniadis und Katharina Vogt vermutlich rasch erkannt, ist der drastisch veränderte Erfahrungshintergrund eines heutigen Publikums im Vergleich zu dem der russischen Futuristen. Wir sind abgeklärt, wir erwarten ja die Provokation geradezu. Und wenn dann doch nur eine lange Reihe von klanglichen Beliebigkeiten auf uns einrieselt (wenn auch technisch fantastisch dargeboten von einem ausgezeichneten Sänger-Ensemble und hervorragenden Instrumentalisten unter einem bedacht und präzise dirigierenden Benjamin Pontius), wenn Bühnenelemente, Ausstattung, Licht und Personenführung (Regie: Manfred Weiß, Bühne/Kostüm: Juliette Collas, Leonore Pilz, Anne-Alma Quastenberg) alle irgendwie bekannt und die Bühnenhandlung schon ein bisschen abgenuddelt daherkommt und niemand, aber auch niemand auch nur irgend etwas zu verlieren zu haben scheint – dann sind wir ein bisschen enttäuscht.
In diesem Gefühl vermischen sich einerseits die Erwartung eines musikalischen Ideenkosmos, der die selbst gesteckten Maßeinheiten ausschreitet, vielleicht das Maß auch sprengt, und andererseits die Hoffnung, dass ein Regisseur das vorhandene Material noch einmal verdichtet, optische Akzente setzt, es kommentiert und interpretiert. Das kraftvolle, vieles infragestellende und doch auch vieles bejahende Provokationsmoment der russischen Futuristen ist in der Dresdner Neuvertonung des Velimir-Chlebnikov-Stoffes einem abgeklärten, manchmal freiwillig, manchmal unfreiwillig komischen Moment des "Hallo, das kenn ich doch" gewichen.
So viel weniger wäre also so viel mehr gewesen: das merkt man an einer einzigen Szene, in der eine einsame Hornistin (Luise Bruch) eine kleine Klangwelt erschafft und sie dann innig und erschöpfend ausfüllt. Dann ist der Moment schon wieder vorbei und die große Beliebigkeit unserer Zeit scheucht uns weiter, verdreht uns die Köpfe und verpufft uns die Hirne. Was wäre hier möglich gewesen, wenn Komponisten und Regisseur auch nur ein einziges Motiv (etwa das einer futuristischen Glossolalie) einmal konsequent befragt hätten!
Chance vertan.
Nächste Vorstellungen: 16., 17. Dezember 2011; 14., 16., 20. Januar 2012