Alles war angerichtet für einen Abend, an dem man „das Alte hinter sich lässt und sich dem Rausch hingibt, um die Welt am nächsten Tag mit neuen Augen zu sehen.“ So zumindest konnte man – vollmundig – im Programmheft für das Silvesterkonzert der Sächsischen Staatskapelle unter dem designierten Chefdirigenten Christian Thielemann in der Semperoper lesen.
Rauschmittel sollten Auszüge aus Operetten von Franz Lehár, dem König der Gratwanderung zwischen breitenkulturellem Kitsch und hochartifizieller Musik, sein. Rauschhaft sollte es also werden – und es sei vorweg genommen: Bewusstseinserweiternd war dieser Abend nicht. Und auch die Welt erscheint einen Tag später kaum in einem anderen Licht.
Der Funke wollte von der Bühne einfach nicht so recht überspringen. Dabei hatte das ZDF als Partner dieses Konzertes extra vorher einen „Einheizer“ auftreten lassen, der das Publikum zu Beifall und Bravorufen ermunterte. Oder besser: aufforderte?! Beinahe krampfhaft wirkte auch die übermäßige Rechtfertigung des Genres Operette. Etwas zu oft wurde dem Publikum im Programmheft und der Begrüßungsmoderation erläutert, dass das ja bedeutende, ja hochkomplexe Musik mit höchsten Anforderungen sei. In einer Stadt, die der Operette ein eigenes Haus widmet, sieht man angesichts dieser musical-education-Basisarbeit doch mehr als eine Athener Eule durch den Saal schwirren. Und wer als Besucher des Dresdner Silvesterkonzertes bewusst die Lehársche Unterhaltung sucht, dem müsste man wohl eher die Oper denn das „Operchen“ erklären.
Wenn man diese kleineren didaktischen Störgeräusche beiseite schiebt, wäre ja dann aber wenigstens immer noch der versprochene Rausch. Dass der nicht einsetzte, lag wohl vor allem daran, dass man letztlich seiner eigenen Idee nicht so recht traute und sich doch immer wieder in den sicheren Hafen einer gediegenen Klangkultur zurück zog. Was gäben diese Melodien und die eindeutig zweideutigen Texte nicht alles her, um die auch in Dresden ausführlich praktizierte Kunst der gehobenen Unterhaltung des frühen 20. Jahrhunderts aufleben zu lassen! Wer – erneut sei das Programmheft zitiert – mit dem Anspruch antritt, mit diesem Konzert „die Operette von ihrem vermufften Ruf zu befreien“, sollte vielleicht einfach etwas mehr Risiko gehen. Und das hieße in diesem Fall vor allem: Mehr Wildheit und Spielfreude eines Salonorchesters und weniger „Wunderharfe.“
Natürlich war die musikalische Leistung insgesamt gut, aber es fehlte die Glut. Zu Orchester und Dirigent fügten sich drei Solisten, bei denen man im Vorfeld nicht müde wurde zu erklären, dass sie Weltstars seien, um im gleichen Atemzug zu hören, dass sie letztlich ’nur‘ Ersatz für Anna Netrebko und Erwin Schrott seien. Angela Denoke, Ana Maria Labin und Piotr Beczala ließen einen nur selten musikalischen Zauber erleben. Lächeln und Schmelz waren zwar da, doch fehlte die ganz große stimmliche Extravaganz. Auch wären durchaus im Solistenensemble der Semperoper Damen und Herren zu finden, die in Sachen Stimme und Aussehen den drei Gästen in nichts nachgestanden hätten. Eine verpasste Chance, die Qualität des eigenen Hauses millionenfach per ZDF in die Wohnzimmer potentieller Besucher zu transportieren?
Einen herausragend zauberhafter Moment, in dem brillante Interpretation, Erotik, Augenaufschlag und -zwinkern zu einer besonderen Leistung zusammenschossen und auch Christian Thielemann in der Rolle nicht des dirigierenden Maestro, sondern des schmachtenden Zuhörers enorme Entertainment-Qualitäten bewies, gab es dann doch: Als Zugabe sang Angela Denoke „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“ aus der Operette „Eine Frau, die weiß, was sie will.“ Das war große Unterhaltung und sogar berauschend. Alles in allem befand man sich an diesem Abend an einem Ort des Lächelns. Ein Ort des bacchantischen Lachens war es nicht.
Das Silvesterkonzert der Sächsischen Staatskapelle wird heute abend ab 17.35 Uhr im ZDF übertragen.