Kommenden Samstag singt der Dresdner Kreuzchor seine erste Vesper im Neuen Jahr. Am Vorabend des zweiten Sonntags nach Epiphanias erklingen Schütz, Schein und andere Komponisten der Alten Musik. Vielleicht eine gute Gelegenheit, mal am klingenden Beispiel zu überprüfen, wie es um die Alte-Musik-Ästhetik des Chors bestellt ist! Die Vesper-CD-Reihe hatte da ja kürzlich Fragen aufgeworfen…
Der Dirigent Peter Kopp jedenfalls ist nach der Vesper einer der Podiumsteilnehmer in der Gesprächsreihe "Kruzianern begegnen", die der Dresdner Kreuzchor im vergangenen Jahr ins Leben gerufen hatte und in diesem Jahr in loser Folge fortsetzt. Neben Kopp stellen sich auch drei aktuelle Choristen den Fragen von MDR-Figaro-Moderatorin Grit Schulze. Unter anderem ist zu klären: "Wie wird man ein Kruzianer?"
Apropos – der Dresdner Kammerchor, an ehemaligen Kruzianern ja nicht eben arm, lässt diese Woche mit einer weiteren Neuerscheinung, einem Mitschnitt des »Paulus« zum Jubiläumskonzert im Mai 2011, aufhorchen. Dreht man das Cover um, macht wiederum ein Claim stutzig: "Schöpfer romantischer Klangtableaus / Erkunder moderner Tonsprachen des 20. und 21. Jahrhunderts / Dresdner Kammerchor" Hui!
Heute nachmittag ein kleiner Piekser in der Brust: Thomas Quasthoff hört auf. "Mein Arzt hat mir empfohlen, mir mehr Zeit für mich selbst zu nehmen", ließ der Sänger mitteilen. Ein anderer Grund scheint ihm ebenfalls zuzusetzen: ihm ist "die Klassik-Branche zu oberflächlich geworden. Man hat den Eindruck, außer David Garrett gäbe es niemanden mehr."
Immerhin, rechtgeben muss ich Quasthoff da: außermusikalische Aspekte werden für Musikerkarrieren immer wichtiger. Ob nun Elin Kolev bei Carmen Nebel vorbeischaut – der David Garrett aus Zwigge! -, oder gestern Julia Fischer zum Auftakt ihrer Tournee bei Harald Schmidt: wer heute nicht mehr wie wild an der PR-Kurbel dreht, kann so phänomenal spielen wie nur irgendwas. Im überdrehten Musikzirkus schwinden seine Chancen, neben all den Selbstvermarktern die nötige Aufmerksamkeit zu erlangen. Schade übrigens, dass Schmidt nur ganz oberflächlich an Julia Fischer herumkratzte und stattdessen lieber einen abgestandenen Grimaud-Witz riss. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren war die Geigerin am Heinrich-Schütz-Konservatorium zu Gast, und bewies, welch tiefsinnige, motivierende Lehrerin sie sein kann. Wenigstens nach der neuen Geigenstudie, die dieser Tage in aller Munde ist, hätte er sie fragen können. Schließlich spielt Frau Prof. Fischer (richtig, seit Oktober ist sie an der Seite ihrer ehemaligen Lehrerin Ana Chumachenco an der Münchner Hochschule für Musik und Darstellende Kunst auf einer halben Stelle tätig) auf einer Guadagnini von 1742.
Paganinis Caprice Nr. 24 a-Moll zauberte Julia Fischer vorm sternbeglänzten Zelt des Kölner Studios, ein Bogenhaar musste dran glauben… Was mich daran erinnert: meine Geigenbögen müssen dringend neu bezogen werden! Meine entsprechende Ausrede, warum der Klang meiner Lieblingsgeige zwischen den Jahren beim fidelen Mendelssohn-Oktett so dünn ausfiel, werden die Kollegen zum nächsten Jahreswechsel wohl nicht mehr gelten lassen. Oder doch lieber einen neuen kaufen? Siehe die vermaledeite Studie… eine echte Crux.
Zuguterletzt: gruslig, wovon eine New Yorker Bloggerin hier berichtet. "Concertus Interruptus" – da laufen mir schon beim Lesen Schauer über den Rücken. Auch wenn in der Semperoper ja neuerdings vor Opernaufführungen eine höfliche Stimme vom Band ans Ausschalten der Mobilgeräte erinnert; irgendeiner hat’s garantiert vergessen, wir hören uns im zweiten Akt. Entsprechende Gewaltfantasien, wie die nachlässigen Übeltäter endlich einmal so öffentlich bloßgestellt werden könnten, DASS SIE ES NIE WIEDER VERGESSEN, verfolgen mich manchmal bis in den Schlaf – vermutlich, bis ich selbst einmal das rabenschwarze Unglücksschaf bin…
Na, erst einmal herzlich, bis Mittwoch,
Martin Morgenstern