Mit dem letzten Tropfen Dezember-Champagner ging ein ganz krummes Ding zu Ende. 2011, wie das schon klingt! Wald- und Wirtschaftskrise, Käfersterben und endlich ein absehbares Ende der atomaren Eiszeit. Da strahlt noch was nach! Aber wer wollte daran schon denken, wenn in der Semperoper sektlaunig Lehár genossen werden konnte? Am Pult der Staatskapelle stand Christian Thielemann; auf den Gebührenkanälen wurde dessen zweites Dresdner Silvesterkonzert in zahlreiche deutsche Haushalte gebracht. Und seit 2012 auf den Kalendern prangt, können die Monate, Wochen, Tage gezählt werden, bis die jüngste kopflose Zeit des Traditionsorchesters vorüber sein wird. Da der in Potsdam lebende Berliner jüngst herausfand, auch Vorfahren tief sächsischen Ursprungs im Stammbaum versammelt zu haben, dürfte sein Umzug nach Dresden nur noch eine Frage der Zeit sein.
Da es ja immerzu heißt, Dresden sei das Potsdam von Leipzig (Ortsfremde raffen das sofort, Eingeborene müssen etwas länger darüber sinnieren), sei ein Blick in Richtung Pleiße gestattet. Dort ist die Oper seit der ersten Neujahrsrakete inszenatorisch recht kopflos. (Auf der Bühne zeichnete sich das länger schon ab.) Chefregisseur Peter Konwitschny hat kurzfristig hingeschmissen. Eigentlich machte er damit nur die langanhaltende Konzeptlosigkeit der Rathausspitze offenbar. Die hat in Kulturangelegenheiten durchaus Tradition: Als der erste Nach-Wende-Intendant Udo Zimmermann vorzeitig gen Berlin gehen wollte, holte ein smarter Kulturdezernent den liebenswürdigen Henri Maier aus Montpellier in die zweitälteste deutsche Opernmetropole. Der sorgte für gründlichen Szenenwechsel und sollte sich dann auf den Generalmusikdirektor Riccardo Chailly freuen. Ästhetisch und finanziell wurden da – absehbar! – Feuer und Wasser gemixt. Wieso daraufhin ohne Not der Intendantenvertrag noch verlängert werden musste, auf dass der GMD („Er oder ich!“) seine Opernverpflichtung hinschmiss, bleibt ein Geheimnis der Lokalpolitik. Die hat nun – inzwischen vom Oberbürgermeister persönlich – den Theater als moralische Anstalt verstehenden Chefregisseur Konwitschny mit einem GMD-Intendanten Ulf Schirmer zwangsverbünden wollen. Feuer und Wasser zum Zweiten! Auch dieses Ende hat nicht überrascht.
Dass Bassbariton Thomas Quasthoff, der schon seine letzte geplante Dresden-Visite zu Thielemanns Debüt mit Bachs „Weihnachtsoratorium“ absagen musste, nun das Ende seiner Konzertkarriere verkündete, stimmt hingegen schon eher tief traurig. Und hinterlässt einmal mehr ohnmächtige Wut auf die Pharmakonzerne, die einen Skandal wie den um die seinerzeit am lebenden Menschen erfolgte Contergan-Erprobung im lobbyistischen Schulterschluss unaufgeregt ausschwitzt. Wünschen wir dem glücklicherweise nach wie vor lehrenden Sänger, den zahlreiche Sternstunden zu verdanken sind, alles Gute für diese neue Etappe in seinem Leben!
Studentischer Nachwuchs hingegen wird erst noch darauf warten, dass sich ihm eine Tür öffnet, die vielleicht zu einem Karrieresprung führt. Die Streicherklasse der Musikhochschule Carl Maria von Weber kann diesen Samstag aufhorchen, wenn von der Ausnahmeviolinistin Midori ein Meisterkurs ausgerichtet wird. Nicht auszuschließen, dass diese in aller Welt mit großem Erfolg unterrichtende Dame nach ihrem Freitags-Konzert, das von Moritzburg Festival und Dresdner Musikfestspielen mitveranstaltet wurde und Werke von Beethoven, Brahms, Dvorák und Kurták beinhaltet, manch künftigem Kollegen wertvolle Ratschläge für eine große Zukunft erteilt.
Noch ein weiterer (immer noch) Jungstar – nahezu ein Jahrgang mit Midori – weilt dieses Wochenende in Dresden. Yannick Nézet-Séguin dirigiert zum bereits fünften Mal die Sächsische Staatskapelle, diesmal stehen ausschließlich Werke von Klassikern des 20. Jahrhunderts auf dem Programm. Viel Freude bei Messiaen, Prokofjew und Strawinsky!
Gleich zweimal am Sonntag musiziert die Dresdner Philharmonie, noch immer im Kulturpalast, wo sie ihre Zusammenarbeit mit Helmut Imig fortsetzt. Der hat sich einen herausragenden Ruf für die Musikmusik erarbeitet und wird auch diesmal – nach erfolgreichen Live-Konzerten zu Charlie Chaplins „Lichter der Großstadt“ und „Goldrausch“ in den vergangenen Jahren – den unsterblichen Filmhelden begleiten. Drei Stummfilme des Meisters werden zu sehen sein, dazu erklingen nachträglich dazu komponierte Werke von Carl Davis. Diese Reihe „Film und Musik“ sollte unbedingt beibehalten werden, wo auch immer die Philharmonie in weiterer Zukunft zu erleben sein wird.
Noch bevor der Kulturpalast schließt, macht übrigens Pillnitz dicht. Ab April erhebt der klamme Freistaat den schon lang diskutierten Eintritt für den Schlosspark – und sorgt damit gewiss nochmal für einen Besucheransturm bis Ende März. Die Einnahmen dürften nur einen Klacks von den Milliarden ausmachen, mit denen das sächsische Volk für die Versager der einstigen Landesbank bürgt, natürlich nicht freiwillig, sondern zwangsweise verordnet. Aber wer will an derlei Wertevernichtung denken, solang ein bevorstehendes Wochenende doch so viel an wirklichen Werten verspricht?!
In diesem Sinne herzlich, bis nächsten Freitag –
Michael Ernst