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„Ich suche keine Klangproduzenten, ich suche Künstler!“

Foto: Matthias Creutziger

Eytan Pessen, ich würde gern mit Ihnen über Sängerkarrieren sprechen. Auf der einen Seite die Hochschulabsolventen, auf der anderen die Opernhäuser… Wie kommen die eigentlich zusammen?

Das ist schwierig zu verallgemeinern. Jedes Haus hat andere Ziele und Hintergründe. Es gibt einen großen Unterschied zwischen ensembleorientierten und gästeorientierten Häusern. Deutsche Opernhäuser als solche sind relativ ensembleorientiert, mit einigen Ausnahmen wie München oder Berlin. Also, das wäre der übliche Weg: der junge Sänger beendet die Hochschule mit einem Bachelor- oder Masterabschluss; er ist jetzt Anfang zwanzig, spätestens Anfang dreißig. Jetzt fängt er an, einen Agenten zu suchen und vorzusingen. Mittlerweile organisieren viele Hochschulen Vorsingen für Intendanten und Operndirektoren selbst. Die erste Hürde ist: der Sänger muss von den richtigen Personen zur richtigen Zeit gehört werden. Das ist nicht so einfach, denn es gibt irrsinnig viele Sänger; weder ich noch meine Kollegen schaffen es, die alle zu hören. Und ich habe hunderte Vorsingen im Jahr! Trotzdem bekommt nicht jeder Sänger seinen Platz. Überlegen Sie mal: dazu kommen ja noch die Quereinsteiger. Die haben ein Instrument gespielt und entdecken plötzlich, dass sie eine Stimme haben.

Das ist offenbar gar nicht so selten! Wenn man etwa durch die Biografien der Solisten in der aktuellen »Tosca«-Inszenierung schmökert, findet man einen Hornisten, einen Arzt, einen Deutschlehrer, sogar einen Ozeanologen! Wo haben Sie die denn alle aufgestöbert?

Durch Tips von Agenten, Gesangslehrern, aber auch von anderen Sängern. Und natürlich gibt es pro Jahr mehrere hundert, wenn nicht Tausende von Bewerbungen, die hier am Haus bearbeitet werden. Von denen, die ans Haus passen könnten, hören wir dann die Demos, auf zugeschickten CDs oder Youtube. Da bekomme ich dann eine Idee, wie die Stimme sein könnte.

Hören Sie dazu auch außer Haus Vorsingen?

Ja. Ich fahre aller zwei Jahre nach New York; ich unterrichte auch sehr viel an verschiedenen Orten, regelmäßig am Opernstudio in Frankfurt und der Theaterakademie von München. Natürlich haben wir auch dort laufend Vorsingen. Die Bühnenzeit der Semperoper ist sehr begrenzt, das ist Bewerbern schwer zu vermitteln. Oft finden Vorsingen in Umbaupausen, zwischen zwei Proben oder so statt. Natürlich kann man bei mir im Zimmer vorsingen, aber dann habe ich nur einen allgemeinen Eindruck von der Qualität. Oft irrt man sich bei der Einschätzung, wie tragfähig die Stimme ist. Hier klingt sie toll, und auf der Bühne dann matt oder lasch.

Suchen Sie bei dieser Auswahl überhaupt noch aktiv und gezielt nach bestimmten Typen oder Stimm-Charakteren?

Ich versuche einfach, mich informiert zu halten. Schon jetzt kenne ich ja viele gute Sänger, denen ich einfach nichts anzubieten habe. Besonders junge Baritöne und Bässe: die sind vielleicht beim Vorsingen zu knabenhaft, zu jung; dann wartet man ein paar Jahre und guckt dann: wie war die Entwicklung? Natürlich gibt es auch Situationen, wo man gewisse Rollen besetzen will. Dann geht man raus auf die Suche.

In den Sängerklassen deutscher Musikhochschulen haben wir heute einen phänomenal hohen Anteil asiatischer Sänger – von bis zu siebzig Prozent ist die Rede.

Die Deutschen selber sind Kunstverbraucher, weniger Kunstausübende. An deutschen Studienbewerbern gibt es nicht so einen Sturm und Drang auf die Studienplätze. Es fehlt hier wirklich quantitativ an Nachwuchs. Rollen wie Papageno: vor zwanzig Jahren waren da hunderttausend knackige deutsche Baritöne zu haben! Heute sind die nicht mehr so häufig.

Warum?

Das wäre eigentlich eine sozial-musikhistorische Frage. Die Koreaner kommen, weil es in ihrem Heimatland eine sehr starke kirchliche Tradition des Chorgesangs gibt und damit die Liebe zur Musik. Die Frage, warum nicht so viele Deutsche an unsere Hochschulen gehen, müsste man eher dort fragen.

Dann frage ich Sie: warum kommen all diese Koreaner nicht an den deutschen Opernhäusern an?

Gute Chancen haben sie eigentlich. Klar, es ist immer schön, deutschsprachige Rollen auch mit Deutschen zu besetzen: das gibt eine andere Rollendynamik. Es gibt zwar auch viele Ausländer, die deutsche Dialoge gut beherrschen. Aber das ist eine Kunstfrage: ist ein Papageno mit einem italienischen Akzent akzeptabel?

An der Qualität der Stimmen, der Variabilität oder dem Ausdruck liegt es nicht?

Eher schneiden Koreaner in diesen Dingen sogar einen Tick besser ab. Denken Sie nur, was für gute koreanische Sänger wir in der letzten Zeit haben: Kwangchul Youn ist als Wagner-Sänger etabliert. Oder Attila Yun: der singt von Stuttgart bis Scala… Und hier in Dresden werden wir bald mit unserem Wookyung Kim die erste Wagner-Rolle ausprobieren. Er hat jahrelang mit großer Eloquenz den Tamino gesungen. Sicher, man hörte, dass er kein Deutscher war, aber das war keine Peinlichkeit. Heute tendieren wir eher zur Originalsprache der Komposition. Früher war es selbstverständlich, dass man in der Landessprache sang, da war der Sängermarkt sicher etwas nationaler geprägt. Aber auch da gab es Ausnahmen: denken Sie an die Castrati der guten alten königlichen Oper.

"Früher war alles besser!" – hören Sie das auch von Ihren Kollegen Operndirektoren? Gibt es heute noch wirklich einzigartige Stimmen?

Ich hörte das auch schon: es sei doch traurig, dass die Sängerqualität jedes Jahr sinkt! Ich kann das nicht so einfach bestätigen. Es gibt immer Ausnahmestimmen und Ausnahmekünstler. Was aber generell fehlt: große Stimmen sind seltener geworden, auch große Leute sind seltener geworden. Und die Leute folgen dem Diktat von Hollywood: mollige Sänger sind selten geworden. Es gibt jetzt eher eine Neigung zu Leuten, die gut aussehen. Es gibt wenige Tristane, die auch gut nackt auf der Bühne aussehen; ich finde das persönlich auch nicht notwendig! Nicht, dass Regisseure das jetzt so oft machen, aber der Wunsch ist da.

Die Intendantin betont bei Weills "Street Scene" gern, dass das Stück komplett mit Sängern aus dem Haus besetzt ist. Ist so etwas auch eine Kostenfrage?

Wir bemühen uns nie, Werke rein aus dem Ensemble zu besetzen. Anders herum: wir können so viel aus dem Haus besetzen, weil wir so ein Klasse Ensemble haben! Es geht nicht darum, Geld zu sparen, sondern um eine künstlerische Qualität: eine Gruppe von eingespielten Künstler agieren miteinander über mehrere Vorstellungen und Jahre. So können Inszenierungen eine besondere Dynamik entwickeln.

Haben Sie eigentlich das letzte Wort, wer was singt – oder die Intendantin?

Wir arbeiten als Team zusammen: Operndirektor, Intendantin und Chefdirigent. Christian Thielemann wird hier ja viel Oper machen. Er ist zwar nicht Generalmusikdirektor und kümmert sich nicht um die x-te »Boheme«, aber die Besetzungen werden alle zusammen besprochen. Wir beide bekommen vom Haus all unsere Wünsche erfüllt. Wenn Christian Thielemann Christoph Pohl oder Christa Mayer in seinen Konzerten besetzt, ist das eine rein künstlerische Entscheidung, und nicht eine ensemblepolitische.

Ich frage jetzt den Operndirektor Pessen und nicht den Leiter einer Theaterakademie: was müsste sich an den Hochschulen ändern, damit die Ausbildung besser auf die Anforderungen der Opernpraxis abgestimmt ist?

Oh, das ist schwer zu beantworten. Ich antworte erst einmal doch als Lehrer: da stelle ich mit jedem Absolventen eine Packung von Arien zusammen, wir polieren die, und dann werden die Absolventen an verschiedene Häuser geschickt. Viele Sänger machen eine Menge Meisterklassen und Kurse. Oft bleibt dort nicht die Zeit, die Stimme oder das Repertoire gründlich zu bearbeiten. Sachen wie etwa die Diktion werden vernachlässigt. Die Leute schwimmen plötzlich in technischer Information und sind damit voll beschäftigt. Aber auf das Künstlerische konzentrieren sie sich dann weniger. Und jetzt kommt der Operndirektor: alle suchen Sänger, die eine technisch ausgeglichene, fertige Stimme mitbringen, aber die eben auch Künstler sind. Nicht nur Klangproduzenten!

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