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Lou Salome: Muse, Geliebte, Therapeutin

La Fenice (Foto: Bäumler)

Hommage an eine Musikerpersönlichkeit Venedigs: Das Teatro La Fenice eröffnete die Saison 2012 mit „Lou Salome“, dem ersten und bei seinem frühen Tod 2001 einzig gebliebenen Opernwerk des Venzianers Giuseppe Sinopoli. Begleitet wurde die Opern-Hommage von einem Sinopoli-Workshop, einem Salomé-Theaterabend, Einführungen, Matineen, Ehrenpromotionen; ins gesamt neun Veranstaltungen an der Zahl.

1946 in Venedig geboren, war der gefragte Dirigent – mit vielen Ring-Dirigaten in Bayreuth – zuletzt seit 1992 Chefdirigent an der Sächsischen Staatsoper Dresden. Er starb 2001 in Berlin am Pult einer „Aida“, der Oper, mit der er 1976 in Venedig seine Dirigentenkarriere begonnen hatte. Der universalbegabte Sinopoli war äußerst vielseitig orientiert: der promovierte Psychiater betätigte sich nicht nur als Komponist, sondern auch als Schriftsteller, Archäologe und Filmarchitekt.

Als Protagonistin einer neuen Oper, in Auftrag gegeben von der Bayrischen Staatsoper München, wählten der Komponist Sinopoli und sein Librettist Karl Dietrich Gräwe eine Person universeller Geisteshaltung, eine frühemanzipierte Intellektuelle und gleichwie kapriziöse femme fatale, verwandt Zeitgenossinnen wie Alma Mahler-Werfel oder Franziska zu Reventlow. Doch sie mit den Lulus, Carmens oder der mythischen Salomé zu vergleichen, würde auf die falsche Fährte führen.

Die 1861 in Sankt Petersburg geborene Generalstocher russisch-deutscher Abstammung, Lou Andreas-Salomé, war im Freundeskreis ihrer berühmten Männer eine philosophische Gesprächspartnerin, aktive Muse wie Geliebte, Lebensbegleiterin, Therapeutin. Sie sucht die Nähe und war bindungsunfähig zugleich. Friedrich Nietzsche wie Rainer Maria Rilke spielten die wichtigste, der Philosoph Paul Rée und Malwida von Meysenbug eine bedeutende Rolle, wie auch der Orientalist Carl Andreas, mit dem sie verheiratet war, ohne die Ehe zu vollziehen. In letzter Lebensphase wurde sie Schülerin von Sigmund Freud und praktizierte als Psychoanalytikerin in Göttingen, wo sie 1937 starb.

"Die Oper ist episches Theater, Gedankentheater, Philosophie…" (Lothar Zagrosek) Foto: Bäumler

Auf Sinopoli muss diese Salome – wie auf ihre Zeitgenossen – eine große Faszination ausgeübt haben. Über und in die Partien gleißend schöner tonaler Klangflächen webt Sinopoli ein Netz von Anspielungen, wobei romantisierend schon mal Mahler, aber auch Neutönerisches mit besonderer Instrumentierung, wie auch Stimmungen ironisierend-ländlerische und Wolga-Tönungen durchklingen. Erratisch, erhebt sich der gesungene Part der Lou aus diesem Teppich nahe bis an den Diskant. Der zweite Akt ist blockhafter bis an Ermattungsgrenzen musiziert und beschlossen von einem instrumentierten „Chor der Hoffnung“ den Sinopoli als Requiem „Hashshirim“ für 20 Solostimmen A Cappella schon 1976 als eigenständige Komposition geschrieben hatte.

Das Werk war von der Bayrischen Staatsoper unter der Intendanz von August Everding in Auftrag gegeben worden. Die Uraufführung 1981 der zweiaktigen „Lou Salome“ dirigierte der damals 35-jährige Komponist selbst. Inszeniert hatte Götz Friedrich maßgeblich mit Bühnenbild von Andreas Reinhardt. Vom Publikum beklatscht, wurden die Mängel des Werkes in Dramaturgie, dem teils papiernen Text, und die symbolisierende, überladene Inszenierung von der Mehrheit der Kritiker bezischt. Nach sechs Aufführungen in München hatte Sinopolis Oper niemals mehr und nirgendwo eine Wiederaufnahme gefunden. Sie galt als unaufführbar; Sinopoli zog die Partitur zurück.

Lothar Zagrosek (Foto: Christian Nielinger)

Dirigent wie auch musikalischer Bearbeiter für die Wiederaufnahme von „Lou Salome“ am La Fenice im dreißigsten Jahr nach ihrer Uraufführung war der langjährige Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters, oft auch Gastdirigent in Dresden, Lothar Zagrosek. »Musik in Dresden« sagte er: „Ich glaube, dass Sinopoli sich auf gewisse Weise identifizierte mit der Partie der Salome, so dass es fast ein autobiografisches Verhältnis gibt zwischen ihm und dieser Figur. Er war ein leidenschaftlicher Bewunderer und Erforscher der Wiener Moderne, des fin de siècle in seiner speziellen Wiener Ausprägung, mit allen ihren Krisen – und dafür steht Lou in ganz besonderem Maße, auch durch Beziehung zu ihren bedeutenden Zeitgenossen. Sinopoli wie auch der Regisseur der Uraufführung, Götz Friedrich, war unglaublich engagiert bezüglich des Sujets und der Aufführung. Sie gaben sehr viel von sich und ihren Ideen ins Stück und überfrachteten es damit. Nachdem, was ich über die Münchner Aufführung erfuhr, war auch der Ansatz von Friedrich für seine opulente Inszenierung falsch. Was wir für La Fenice erarbeitet haben, entspricht diesem Werk viel mehr. Wir haben vereinfacht, haben gestrichen, Rollen herausgenommen oder in nur sprechende gewandelt. Das Stück hat nun nur noch eindreiviertel Stunden Spieldauer. Zum Ende ist eine maßgebliche Umstellung vorgenommen: Lou singt ihr Lied, erst dann kommt das Requiem, wieder rein a-Cappella gesungen. So ist es ein sehr eindrucksvoll stimmiger Schluss. »Lou Salome« ist nicht geschrieben als Oper im traditionellen Sinn, sondern wie eine musikalische Installation auf der Bühne, bei der das Narrative nicht die Rolle spielt. Es ist episches Theater, Gedankentheater, Philosophie, festgemacht an den Personen, die das ausdrücken und symbolisieren wie Nietzsche, Reé, Freud, natürlich die Hauptdarstellerin Lou und, ganz wichtig, Rilke.“

Handlung

Eingeleitet ist der erste Akt mit einem Chortableau, der die Identität von Lous Geburtsjahr 1861 und ihren Geburtsort Sankt Petersburg mit der Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland feiernd besingt. In loser biografischer Folge illustrieren und artikulieren danach Personenauftritte aus Lou‘scher Vita in Rückerinnerung die Figuren, Situationen, Gedanken zwischen Liebe und Tod die ihr Leben füllten. Zentral im zweiten Akt sind unter Zarathustra-Visionen die von Liebe zu Wahnsinn bis Trennung changierende Beziehung zwischen Lou und Nietzsche in Szene gesetzt mit der Apotheose ihrer Wanderung auf den Monte Sacro. Ähnlich sind Annäherungs- und Zwist-Erlebnisse von Lou und Rilke auf langer Reise in Sibirien dramatisiert. Das Spiel endet mit Lous Lied „ich sage ja zum Leben, sage ja zum Tod“.

"Was muss ich so viel Geld bezahlen nur um einen Baum zu sehen und Musik die ich nicht verstehe!" (Eine Besucherin) Foto: Michele Crosera

Inszenierung

Die Produktion für La Fenice entstand in einem interessanten Modell der Kooperation zwischen dem Theater und der Fakultät Design und Kunst, an der Internationalen Architektur-Universität Venedig IUAV. Vorschlag und Konzeption kamen von La Fenice mit Bezug auf das zehnte Todesjahr des Venzianers Sinopoli und 30 Jahre nach Uraufführung. Die Zusammenarbeit mit IUAV begann bereits mit Luigi Nonos „Intolleranza“, 50 Jahre nach deren Uraufführung, zur Eröffnung der Opersaison 2011 für einen Zyklus am La Fenice von Werken experimentell neuer Musik venzianischer Komponisten. 

"Lou Salome" erfordert ein großes Orchester – Extra-Instrumente werden per Boot geliefert… (Foto: Bäumler)

Der Beitrag der IUAV konzentriert sich auf Regie (Regie führte Franco Ripa di Meana, der auch Dozent der Klasse darstellende Kunst des IUAV ist), Bild, Licht, Projektion, Kostüme, Bühnenbau: Die kreative Idee war, die Spielebene ins Parkett zu verlegen; das voluminöse Orchester sitzt auf der Bühne. Ein einziges Bild ist Spielfläche für alles Geschehen mit einem Baum inmitten, hoch bis unter den Zentrallüster, der aus einer Sandebene mit darin steckenden Büchern wächst. Ein Sofa plus Lous Sekretär, ein schräges Kreuz – Martyrium des Lebens – sind die Zielpunkte der Bewegungschoreografie. Die großen Chöre sind versteckt auf die Seitenbühnen gestellt und elektroakustisch so übertragen, dass sie den Raumklang der ohnehin großartigen Fenice-Akustik nahezu ins Magische verstärken (Tongestaltung vom besonderen Gast Alvise Vidolin).

Aufs Dreiviertelrund des historischen Logentheaters sind schimmernd farbig-bewegte Venedig-Motive projiziert. Sie unterstreichen die Szenenstimmung; abgeschmackt dagegen, wie zum Schluss-Chor Götterdämmerungsflammen die Logen hochwallen. Schlüssig für die Partie der Lou ist, die Rolle mit Sängerin und Schauspielerin doppelt zu besetzen. Die „Intellektuelle“, streng im hochgeschlossen Kostüm der Zeit, spricht; das „Weib“, lasziv mit hohem Kleiderschlitz, singt. In der Gesangsrolle: Ángeles Blancas Gulin aus dem Ensemble des La Fenice, brilliant in eminenter Bühnenpräsenz mit einem umfangweiten timbrelos-klaren Sopran. Für die Männerrollen (herausragend: Gian Luca Pasolini als Paul Rée) jedoch erschließt sich die Sinnhaftigkeit der Regie-Idee Doppelung nicht, wenn jedem der „Philosophen“ ein Schatten, stumm besetzt mit den Studenten der Klasse, nachsteigt; zumal in den Tutti, wenn alle zusammen die Protagonistin umschwirren. Oder macht gerade das den Sinn?

Fazit

"Die Musik lohnt den Aufwand" (Foto: Christian Nielinger)

Nochmals Maestro Lothar Zagrosek: „Ich glaube dass diese Fassung sehr bühnenwirksam ist und auch von anderen Bühnen bewältigt werden kann. Einschränkend muss ich sagen: der Aufwand ist groß, denn diese Oper verlangt allein schon im instrumentalen Bereich Heerscharen am Instrument und in den Chören; dazu Spezialinstrumente, die man besorgen muss. Aber es lohnt den Aufwand, denn es ist durch die leichten Änderungen, die wir vornahmen, eine ganz publikumswirksame Oper entstanden. Die Kritiken in Italien sind euphorisch, sie sprechen von einer Wiederentdeckung.“

Von starker Regiehand den Bogen noch stringenter geformt, behutsam auch am Text gearbeitet, könnte Sinopolis Salomé Musik auch als Opernwerk nachhaltig auf den Bühnen bestehen – um Sinopolis Musik würde es lohnen.

THEATERZETTEL

Lou Salomè
Oper in zwei Akten

"Ein musikalisches Opernexperiment, das muss man gesehen haben, schon wegen der Musik unseres Venezianers – aber einmal, das genügt!" (Ein Besucher) Foto: Bäumler

Libretto von Karl Dietrich Gräwe nach „Lebensrückblick“ von Lou Andreas-Salomé
Musik von Guiseppe Sinopoli
Premiere des Teatro La Fenice Venedig am 22. Januar 2012, drei Wiederholungen

in Originalsprache mit italienischer Übertitelung

Lou Salomé, Sopran – Ángeles Blancas Gulin
Lou Salomé, Sprechrolle – Giorgia Stahl
Friedrich Nietsche/Zarathustra, Philosoph – Claudio Puglisi
Paul Reé, Philosoph – Gian Luca Pasolini
Rainer Maria Rilke, Dichter – Matthias Schulz
Friedrich Carl Andreas, Orientalist – Roberto Abbondanza
Malwida von Meysenbug/Lous Mutter – Juli Mellor
Henrik Gillot, Pastor/Professor Kinkel – Marcello Nardis
Ein Diener/ein Weitgereister Zeitgenosse – Allessandro Bressanello

Stumme Rollen – Studenten der Klasse darstellende Kunst IUAV

Musikalische Leitung – Lothar Zagrosek
Orchester und Chor des Teatro La Fenice, Chorleitung Claudio Marino Moretti
Tonregie – Alvise Vidolin
Koordination Theaterlabor des La Fenice/IUAV – Walter Le Moli
Regie, Szenenbild, Kostüme, Licht – Franco Ripa di Meana, Luca Ronconi und andere Dozenten der IUAV mit den Studenten

Hörtip: Lou Salome – Oper in 2 Akten – Orchestersuiten 1 und 2. Guiseppe Sinopoli, Lucia Popp, Jose Carreras, Radio-Sinfonie Orchester Stuttgart

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