Eleonore Elstermann feiert am Mittwoch ihren 80. Geburtstag (hier der Gruß der Oper). Sie ist aktiv und fröhlich, im Rückblick dankbar für eine Karriere, die im Alter von 13 Jahren begann und noch immer nicht zu Ende ist. 1945, das Theater ihrer Heimatstadt Köthen hat gerade den Spielbetrieb wieder aufgenommen, singt sie im Kinderchor, mit 17 ist sie Chorsängerin in Magdeburg und erhält hier am 13. Juli 1951 ihren ersten Solovertrag. Schon im November singt sie die Königin der Nacht. In Dresden und in Berlin wird sie diese Partie mindestens 120mal singen. Weil sie so jung ist, kann es vorkommen, dass ihre Tochter Pamina in dieser Oper von einer Kollegin gesungen wird, die rein altersmäßig ihre Mutter sein könnte…
Eleonore Elstermann sagt von sich, sie sei ein Naturtalent. Eine Hochschule hat sie sie nie besucht – von einer Konzertsängerin die sich in Köthen zur Ruhe gesetzt hatte bekam sie das nötige Werkzeug um mit ihrer von der Natur gesegneten Stimme immer richtig umzugehen. Deshalb singt sie noch heute, zuletzt im Januar, beim Dreikönigsfest des Lahmann Sanatoriums, in originaler Tonhöhe, den Abendsegen aus „Hänsel und Gretel“. Das geht, man müsse eben nur sei Maß kennen und akzeptieren, vor allem den Verlockungen, über die natürlichen Dimensionen hinauszugehen, widerstehen können. Das gab so auch ihren Schülern weiter und legte sie den Mitgliedern des Opernstudios ans Herz, dessen Leitung sie für einige Jahre übernahm. Was sie vermittelt ist erfolgreich, denn einige gehören dem Ensemble der Semperoper an, andere singen an den Landesbühnen, in Plauen-Zwickau oder auf Konzertpodien, andere wenden die von ihr gelernten Methoden selber als Lehrende an, am Salzburger Mozarteum, an der Hamburger Sängerakademie.
Ab 1955 gehört Eleonore Elstermann dem Ensemble der Sächsischen Staatsoper an. 39 Jahre lang singt sie auf den Interimsbühnen im Großen und im Kleinen Haus und ab 1985 wieder auf der Bühne der Semperoper. Sie singt die Susanna in „Figaros Hochzeit“, das Ännchen im „Freischütz“, und natürlich ihre große Lieblingspartie, die Sophie in „Der Rosenkavalier“ vom Dresdner Hausgott Richard Strauss. Sie gastiert in Berlin an der Komischen Oper und an der Staatsoper. Sie erinnert sich an Gastspiele der Dresdner in Japan und in Venedig. Sie erinnert sich auch an schwere Zeiten, eine krankheitsbedingte Pause, an Gastspielangebote, u.a. von Karajan, die sie nicht wahrnehmen konnte, weil ihr der Reisepass fehlte, oder an die nicht ganz kollegialen Verhältnisse in Dresden nach 1989. Aber das Glück ist in der Summe größer. Und als wollte sie diese lange Zeit ihres glücklichen Sängerlebens ganz aktiv unter Beweis stellen und was es eben heißt, eine von der Natur gesegnete Stimme zu haben, gibt die Jubilarin gleich mal Kostproben, Koloraturen und Staccati, sicher und klar, für einen Augenblick wird das Wohnzimmer ihres Hauses in Bühlau an der Dresdner Heide zur Opernbühne. Mir ist die Ehre widerfahren, und mindestens eine silberne Rose sollte die Blumengrüße zum 80. Geburtstag zieren.
Deutschland einig Opernland
Nein, nicht Italien, Deutschland ist das Opernland. Zu diesem Schluss komme ich nach der Lektüre des Buches „Walküre in Detmold“ von Ralph Bollmann. Der 1969 geborene Autor ist nach etlichen Jahren als Politikredakteur bei der taz jetzt wirtschaftspolitischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung und er gehört ganz sicher zu den rund zehn Millionen Menschen, die in Deutschland pro Jahr in die Oper gehen. Bollmann hat es in mehreren Jahren geschafft, alle 84 Opernhäuser bzw. Theater, an denen es eine Opernsparte gibt, zu besuchen. Mitunter erfahren wir in seinen mal mehr und mal weniger aufschlussreichen Berichten mehr über die Annehmlichkeiten des Hotels, die Vorzüge regionaler Küchen oder Weinsorten als über den Grund seines Besuches. In Kassel sah er „Tristan und Isolde“. Wie es war? Kein Wort darüber. Stattdessen sein Kummer: man finde in Kassel kein akzeptables Wirtshaus… Dann, welch Wunder, Isolde steht im Burger King, Adrienne Dugger kauft sich einen Whopper. Immerhin ist der Opernreisende neunmal in Sachsen gewesen und nicht verhungert. 27 mal war er in Mitteldeutschland, zählt man die 21 Opernbesuche in Brandenburg und Berlin, Mecklenburg-Vorpommern dazu, das besondere Interesse an der Oper in Neustrelitz, wo er gleich dreimal war, und zieht die Deutsche Oper in Berlin als eigentliche Westoper wieder ab, dann kommen noch 22 dazu und das bedeutet: im Osten Deutschlands wird mehr Oper gemacht als im Westen!
Im Januar 2010 hat er Dresden besucht und war in der Semperoper. Zuvor hatte er hier nur ein Konzert gehört, immerhin ein Palmsonntagskonzert. Bislang fand der Autor das „lebendige Treiben“ in der äußeren Neustadt interessanter, aber das ist auch lange her, jetzt so stellt er fest, betrinke sich hier „die Dorfjugend aus Dippoldiswalde und Hoyerswerda“. Dann noch Anmerkungen zum besonders sanften Systemwechsel in Dresden, vom unpolitischen Dresdner allgemein, der sich, das kann man bei Uwe Tellkamp lesen, „lieber in kulturelle Welten träumte ohne politisch oder ökonomisch Alternativen zu entwickeln zur real existierenden DDR.“ Was die Oper angeht, kommt er zu dem Schluss, dass der „Tannhäuser“ an der Semperoper das Maß aller Dinge war und nicht die oppositionelle Tat.
Welchen „Tannhäuser“ meint der Autor? In der Inszenierung von Peter Konwitschny kam das Werk 1997 heraus, zuvor wurde 1987 Harry Kupfers Inszenierung, die noch in seiner Amtszeit als Chefregisseur auf der Interimsbühne im Großen Haus Premiere hatte, wieder aufgenommen. Beide Versionen entsprechen durchaus nicht einer Opernästhetik, die lediglich dazu angetan ist, sich hinweg zu träumen.
Nun – bei seinem Besuch im Januar 2011 sieht sich der Autor Händels „Giulio Cesare in Egitto“ an. Das gefällt ihm nicht; er mäkelt an der Musik, bzw. an der Art, wie die Staatskapelle Barockoper spielt und entdeckt noch eine erstaunliche Lücke im Dresdner Kulturbewusstsein. Und auch für die Zukunft, mit Christian Thielemann, sieht Ralph Bollmann schwarz. „Das Dresdner Publikum kann sich entspannen. Statt mäßiger Barockopern wird es von Thielemann auch in Zukunft bekommen, was es will, Tannhäuser und Arabella.“ „Don Pasquale“ in einer Aufführung der Landesbühnen Radebeul gefällt ihm besser.
Die Berichte dieser „Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz“ umfassen den Zeitraum von 1997 bis 2009. Eine Reise nach Neustrelitz, eine Aufführung des „Fidelio“ am 19. September 1997, macht den Autor zum Fan der deutschen Opernprovinz. Auch der letzte Besuch gilt Neustrelitz. Gegeben wird „La Boheme“, das Theater ist ausverkauft, aber die Zukunft ist ungewiss. In Neustrelitz sind neue Zeiten angebrochen, kein saftiger Streuselkuchen mehr im Café Pogoda, hier ist eine Apotheke eingezogen. Vielleicht braucht man jetzt Magentabletten, wenn man den Kuchen des „regionalen Kettenbäckers, der sich auf der anderen Straßenseite breitmacht“, essen muss?
Herzlich, bis Montag, Boris Gruhl