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Dresdner Symbolismus

Jedes Jahr im Februar wird der Dresdner Symbolismus in besonderer Weise gepflegt. Die Oberlandesgerichtsbarkeit macht braunen Horden von Neonazis den Weg dazu frei, das öffentliche Leben der Stadt lahmzulegen. Hilfsbereit setzt die Polizei derlei Entscheid mit kräftigen Maßnahmen durch. Couragierter Protest wird umgehend kriminalisiert. Und die anständigen Bürger reihen sich händchenhaltend in eine Menschenkette mit Blümchen. Nazis raus! Aber wohin?

Und weil wir schon mal bei offenen Fragen sind: Wer hat sie denn reingelassen, die braune Gedankenlosigkeit, in die Köpfe der ausgegrenzten Ausgrenzenden? Antworten darauf werden spätestens dann kommen, wenn noch ein paar Jahre länger an Aufklärung, Bildung und Kultur gespart wird. Meine Vermutung: Jeder dort gesparte Euro wird der Allgemeinheit in kurzer Zeit etwa zehnfach teurer zu stehen kommen und muss in Form von Sozialleistungen kompensiert werden.

Aber noch ist ja Hoffnung. Hoffnung, auch wenn ein Requiem als Totenmesse sonst ja eher als Abgesang gilt. Doch die Sächsische Staatskapelle setzt genau da an, hat in Kooperation mit der Stiftung Frauenkirche der Komponistin Lera Auerbach – der momentanen Capell-Compositrice – den Auftrag zu jenem Requiem erteilt, das am Samstag als „Dresden-Requiem“ mit dem Untertitel „Ode an den Frieden“ uraufgeführt werden soll. Dessen Symbolgehalt ist enorm, das fängt mit dem Ort der Uraufführung schon an. Der 1973 in Tscheljabinsk geborenen Komponistin, die seit über 20 Jahren in New York zu Hause ist – auch das ein Brückenschlag wie ein Fingerzeig –, war diese wiedererrichtete Stätte sehr wichtig. In direkter Absprache mit dem Dirigenten Vladimir Jurowski, der das Requiem als Erster herausbringt, sind Besetzungsfragen auf den besonderen Raum mit seiner diffizilen Akustik abgestimmt worden. Der aus Moskau stammende Dirigent des Jahrgangs 1972 hatte bekanntlich in Dresden studiert, wirkte hier bei den Proben zum Verdi-Requiem 1990 mit, das sein Vater Michail Jurowski mit der Staatskapelle aufgeführt hatte. Heute ist der Absolvent der Dresdner Musikhochschule Chefdirigent in Glyndebourne und beim London Philharmonic Orchestra; trotz Weltkarriere bleibt er seinem einstigen Studienort dankenswerterweise treu verbunden.

Die in New York entstandene Komposition basiert auf den traditionellen Texten der Liturgie, verbindet sie aber mit Gebeten mehrerer Weltreligionen und einem in etwa 40 Sprachen gesungenen „Kyrie“. Lera Auerbach betont, mit diesem Werk das Geschehene erinnern und der Toten gedenken zu wollen. Mindestens ebenso schwer wiege darin aber der Gedanke der Hoffnung, sagt sie und betont, wer miteinander musiziere, befasse sich nicht mit Waffen und Krieg. Ja, sie hofft auf ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Weltanschauungen. Um dies zu ermöglichen, dürfe das Vergangene nicht vergessen werden.

Dem schließt sich Vladimir Jurowski umgehend an, der die Frauenkirche noch als mahnende Ruine in Erinnerung hat. Er habe erst als Heranwachsender erfahren, wie schwierig die Unterscheidung von Opfern und Tätern sei: Auch Deutsche hätten gelitten, auch deren Befreier hätten Gräuel verübt. Und die Welt von heute verlange mehr denn je nach wirklicher Aufklärung und Frieden.

Symbolkraft kommt so wohl auch der gründlich konzipierten Uraufführungs-Besetzung zu. Gemeinsam mit dem deutschen Traditionsorchester, der Sächsischen Staatskapelle, werden zwei Knabenchöre und mehrere Solisten der einstigen Kriegsgegner musizieren und einmal mehr das Verbindende der Kunst leben lassen. Aus New York und aus London kommen je zwanzig junge Sänger – Lera Auerbach ist es wichtig, darauf hinzuweisen: Solange sich Jungs mit Dingen wie dem Violinschlüssel beschäftigen, solange sie singen und Instrumente spielen, werden sie sich für den Umgang mit Waffen missbrauchen lassen. Wenn dieser Ruf doch von Dresden aus um die Welt ginge! Die Gäste vom East River und von der Themse – sie singen im Saint Thomas Choir of Boys sowie im St. Paul's Cathedral Choir – werden an der Elbe möglicherweise nicht nur vernunftgeprägten Umgang mit der Dresdner Geschichte erleben.

Für die Soloparts in diesem vielschichtigen Werk wurden der niederländische Countertenor Maarten Engeltjes sowie der britische Bariton Mark Stone gewonnen. Neben den erwähnten historischen Textgrundlagen werden auch gegenwärtigere Worte vertont: Das Gebet eines Feuerwehrmanns vom 11. September 2001 sowie die vom Dresdner Autor Christian Lehnert stammende Inschrift der Friedensglocke.
Dreimal wird das „Dresden-Requiem“ von Lera Auerbach jetzt in Dresden erklingen. Am Samstag (11.2.) in der Frauenkirche und am Montag und Dienstag (13./14.2.) in den Gedenkkonzerten der Staatskapelle in der Semperoper. Beginn jeweils 20 Uhr, am 14.2. übernimmt MDR Figaro in einer Livesendung das neue Werk.

Bei so vielen wirklich guten Symbolen könnte man herzlich bis zum nächsten Freitag grüßen, dräute nicht schon der braune 18. Februar herauf. Seien wir auf der Hut!

P.S.: Nazis raus? Ach, wie schön das klingt. Dann wäre ja alles wieder sauber und rein. Die Frage, wohin mit den Nazis, die bleibt ohne Antwort. Aber hat sich mal jemand überlegt, wo die überhaupt herkommen?!

P.P.S.: Die Osterhasen im Supermarkt sind inzwischen angekommen (vgl. die Freitagskolumne vom 27.Januar). Hirn war schon aus.

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