Vor ein paar Tagen war ich in Magdeburg. Im Opernhaus war Premiere. Schauspieldirektor Jan Jochymski hat einen Dauerbrenner inszeniert, „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht mit der grandiosen, aber wie man hören konnte, nicht so ganz einfachen Musik von Kurt Weill. Eine junge Musikerin, Maria Hinze, leitet den Abend vom Klavier aus. Um sich hat sie das Dreigroschenopernorchester, zehn Musikerinnen und Musiker. Frau Hinze macht das beherzt und hat auch mal deutlicher, mal versteckter, ein paar Zitate eingefügt. Am Ende, wenn das ganze korrupte Personal, um die eigenen Köpfe aus der Schlinge ziehen zu können, dem berühmten Räuber Macheath, mit dem man manch gutes Geschäft machen konnte, am liebsten eigenhändig die Schlinge um den Hals legen würde, kommt ja der berühmte reitende Bote. Wir sind in England, ihn schickt die Königin, Mackie Messer wird begnadigt, und alle anderen mit ihm. In die Musik, die schon ganz schön opernhaft das Wunder überhöht, hat Maria Hinze noch eine heitere Modulation eingebaut. Plötzlich sind wir im deutschen, romantischen Märchenreich und ins Finale à la Kurt Weill mischen sich Töne à la Engelbert Humperdinck, zu denen der schön gereimte Text von Adelheid Wette gehört: „Wenn die Not aufs höchste steigt, Gott der Herr sich gnädig zeigt“. Dann, in der Märchenoper, noch mal, bekräftigend, „Ja, wenn die Not aufs höchste steigt, Gott der Herr die Hand uns reicht.“
Also wenn, wie in der Dreigroschenoper, der Mensch für dieses Leben weder schlau genug noch schlecht genug noch anspruchslos genug ist, dann müssen die Menschen werden wie die Kinder und eben jene Hand ergreifen, die ihnen gnädig von oben gereicht wird. Im Märchen ist die Hexe tot. In Deutschland ist der Wulff weg. Und wieder ist es wie bei Brecht und Weill in der „Dreigroschenoper“ – denn was den Wulff angeht, so hatten erst mal andere Pläne mit ihm, dann hatte er Pläne für sich, dann halfen weder die Pläne der anderen, noch die eigenen: „Ja mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht! Und mach noch einen zweiten Plan. Geh´n tun sie beide nicht.“ Ach, wie der Brecht das alles schon 1928 wusste und dem Weill die Melodien zu dessen Reimen nur so zuflogen, als seien es Eingebungen, von ganz weit oben.
Wirklich von oben kam heute Abend nicht der rettende Bote, nein der rettende Mann gleich selbst. Direkt nach Berlin in die beinahe gänzlich dankbar geeinigte Zentrale der Macht Deutschlands, mit dem Flieger aus Österreich. Der Gauck ist da! Die Not war ja wirklich mal wieder aufs höchste gestiegen in Berlin. Und weil die höchste Frau im Staate aus einem evangelischen Pfarrhaus in der Uckermark kommt, passt doch ein künftiger erster Mann im Staate, der selber lange genug auf protestantischen Kanzeln stand, wirklich gut als Retter für alle. Die Protestantin in schwarz hat sich von den religiös nicht so festgelegten Gelben bekehren lassen und dazu kommt das rot-grüne Amen, sicherer als heutzutage in manchen Kirchen. So bunt ist Deutschland. Es ist ein Märchen. Ein deutsches Wintermärchen, im Februar, nicht im November, Gott sei Dank.
Manchmal, bei ganz hohen Anlässen, wird ja auch gesungen im höchsten deutschen Haus. Wie wär´s demnächst mit Brecht und Weill, mit Adelheid Wette und Engelbert Humperdinck; und bei so viel protestantisch-selbstloser Volksverbundenheit könnte auch gleich noch die ohnehin nicht alle Deutschen einende Nationalhymne ausgetauscht werden. Vorschlag: „Nun danket alle Gott!“
Herzlich bis Montag,
Boris Gruhl