Was taugen eigentlich die besten Klischees, wenn man sich nicht drauf verlassen kann? Da hat sich das deutsche Michel-Volk eben daran gewöhnt, einen Bundespräsidenten auszuhalten, der an Biederkeit kaum zu überbieten ist, schon muss es sich umstellen auf einen Ost-Pfarrer in freier Liebe. Das Wulff-Gauck-Gespann scheint die jeweils letzte Rache aus den Zeiten deutsch-deutscher Teilung zu sein. Was zu hoffen, aber erst noch zu beweisen wäre!
Da sollte doch wenigstens bei Künstlern alles an den Klischees wahr sein – und bitte auch bleiben! –, was ihnen so nachgesagt wird. Dass Sängerinnen potz-eitel sind, stimmts? Ihren Schuh-Tick pflegen, nicht nur als Lulu reihenweise Männer betören / betrügen und überhaupt ein lustiges Leben führen. Dass sie trinken, natürlich, das sowieso. An Sonntagen schon vormittags kräftig Martini. Und nicht zuletzt dürfte klar sein, dass Kastraten keine Kinder zeugen können. Quod erat demonstrandum.
Matinee mit Martini
Die Semperoper hat geladen, dies alles am Sonntag Vormittag zu beweisen. Unter dem griffigen Titel „Die Dilettanten-Diva“ wird in der Stunde von elf bis zwölf ausreichend Martini gereicht und auch sonst all das an Vorurteilen abgespult, was sich Wulffs Michel so denken mag über die Welt der Schönen und Reichen. Letztere gibt es nämlich auch, sie taugen aber bestenfalls dazu, hübsche Sängerinnen auszuhalten. Die dafür erbetene Gegenleistung ist verhandelbar.
Eine derart dilettierende Dame ist „La Dirindina“. Die wird in diesem köstlichen Intermezzo von einer bestens aufgelegten Christa Mayer gegeben – als Dresdner Erstaufführung des gleichnamigen Stücks des Bologneser Komponisten Giovanni Battista Martini. Siehe da, das gleichnamige Getränk gibt’s nur auf der Bühne, dem Publikum wird dafür eine überraschende Musik geboten, die keineswegs trocken daherkommt. Dafür sorgen die Damen und Herren der Capella Sagittariana unter der musikalischen Leitung von Felice Venanzoni, die diese um 1737 entstandene Farsetta (eine kleine komische Oper) als funkelnd elegantes Feuerwerk aufführen.
Alexander Brendel hat das kurzweilige Stück auf der Vorderbühne in Szene gesetzt und lässt die Diva ganz zu ihrem Recht kommen. Christa Mayer singt und spielt brillant die Liebhaberin der schönen Stimmkunst (und des teuren Schuhwerks) ebenso wie die des starken Geschlechts. Ihr herrlich überzeichneter Gesangslehrer Don Carissimo, der sie auch im übertragenen Sinne aus-hält, könnte vor Neid schier platzen, wenn er mit ansehen muss, wie sie mit dem Kastraten Liscione turtelt und eine Solo-Laufbahn anstrebt. Aaron Pegram als ältlicher Lehrer wagt eifersüchtige Slapsticks und bringt die Diva zum Schluss beinahe um. Der Countertenor Valer Barna-Sabadus hat bei seinem Dresden-Debüt die Herzen des sonntäglichen Publikums im Sturm erobert und gab mit vokaler Schönheit und lebendig gewitztem Spiel einen glaubhaften Liebhaber. Ob es freilich so weit ging, dass er die Sängerin schwängerte? Selber anschauen, es lohnt sich.
So viel sei verraten, La Diva geht ihren Weg auch als Dilettantin allein. Er ist reichlich mit Männern gepflastert, muss das auch sein, denn ihre Ziele sind Ruhm und viel Geld. So wurde das Pasticcio nicht nur mit Musik von Martini-Zeitgenossen wie Niccolò Jommelli und Georg Friedrich Händel ergänzt, sondern auch mit „Money, Money“ aus John Kanders Musical „Cabaret“. Selbst diese geld-werten Klischees haben herrlich gepasst. Kostüme (also nicht nur die vielen Schuhe) und Bühne entwickelten Frauke Schernau und Arne Walter mit sichtlichem Vergnügen nebst viel Geschick fürs Detail (ein dicker Callas-Band gehört bei der Diva natürlich dazu). Getrunken aber wird in der Martini-Matinee nicht nur der Aperitif mit dem Komponistennamen. Da gibt es auch Härteres sowie spritzigere Getränke – mit all ihren Folgen.
Angeboten wird der Martini immer nur sonn- und feiertags. Das ist auch gut so, denn für abendliche Opernkost ist diese Empfehlung womöglich etwas zu leicht.
Termine: 18. 3., 1. und 8. 4., 17. und 24. 6. 2012